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Neue Lutherbibel: Positiverer Blick auf Judentum [1]

Ende eines Fluches
Die neue revidierte Lutherbibel zeigt einen positiveren Blick auf das Judentum. Eduard Kopp ­entdeckt in ihr Veränderungen, die schon lange überfällig waren
Oktober 2016
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Amelie Persson

Eduard Kopp [2]

Es ist ein Satz, der in mir jedes Mal Entsetzen wachruft: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Jahrhundertelang diente dieser jüdische Selbstfluch aus dem Matthäusevangelium (27,25) als Rechtfertigung für antijüdischen Hass, für Ausschreitungen und Pogrome der Christen. „Die“ Juden, so die Behauptung, ­hätten den Tod des Jesus von Nazareth gefordert und den römischen Statthalter Pilatus trotz seiner Gewissenszweifel lautstark zur Exekution gedrängt. Sie übernahmen dafür allein die Verantwortung. Aber wer sind „sie“?

Auch 70 Jahre nach Auschwitz fallen in Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion diese folgenreichen Worte. Aber viel wichtiger ist ein kurzer Satz, der dem Zitat in der Bibel vorausgeht. „Das ganze Volk“ habe die Worte gerufen. So stand es in der bisherigen ­Lutherbibel – das ganze Volk gleichsam stellvertretend für das ganze Judentum durch die Jahrhunderte. In diesem Oktober erscheint die revidierte Lutherbibel. Und ­da hat sich – endlich – etwas Entscheidendes verändert. Jetzt heißt es „alles Volk“. Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied.

Mit seiner Formulierung vom „ganzen Volk“ lag Martin Luther, auf den diese ­Formulierung zurückgeht, einfach falsch. Der Leipziger Theologieprofessor Christoph Kähler, der die Revisionsarbeit der vergangenen Jahre an der Bibel leitete, sagt es so: „‚Alles Volk‘ bedeutet das Volk, das da gerade auf dem Platz steht, und nicht mehr. Wenn alles Volk antwortet, antworten die, die in Jerusalem auf dem Platz stehen. Punkt.“ Die Reichweite ihres Fluches – den gab es tatsächlich – ist also begrenzt. Diese Neuübersetzung ist keine linguistische Spielerei. Sie zeigt vielmehr: „Es geht hier nicht um das jüdische Schicksal in aller Zukunft“, sagt Christoph Kähler. Der Evangelist Matthäus habe keineswegs die Jahrhunderte oder Jahrtausende in den Blick genommen. Und schon gar nicht, so muss man sagen, hat er mit einer blutigen Verfolgungsgeschichte gerechnet.  

Tüchtige Frau statt tüchtiger Hausfrau

Ja, manchmal muss man Martin Luther korrigieren, vor allem wenn er wie hier „seine eigenen Übersetzungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat“, wie Christoph Kähler sagt. Und Luthers Fehlübersetzung wird auch nicht dadurch erträglicher, dass in vielen anderen Übersetzungen, zum Beispiel in der katholischen Einheitsübersetzung, der Guten Nachricht oder in der Züricher Bibel diese generationenübergreifende Selbstbeschuldigung der Juden ebenfalls behauptet wird.

Der Autor

Eduard Kopp ist Leitender theologischer Redakteur von chrismon. Schon beim ersten Blick in die neue Lutherbibel fiel ihm auf, dass kleine Veränderungen große Wirkung entfalten.
Eine Mammutarbeit steckt in der Bibelrevision, und die hat sich gelohnt. Bereits vor zehn Jahren hatte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschlossen, die Bibelübersetzung zu überprüfen. 70 Fachleute machten sich 2010 an die Arbeit, stießen auf etliche Sprachwendungen und Worte aus früheren Bibelaus­gaben, die nicht mehr zu halten waren. Die Befürchtung traditions­bewusster Protestanten, die Lutherbibel werde nun auf modern getrimmt, ist haltlos. Sie ist vielmehr die erste, die bewusst an vielen Stellen zu ­Luthers Text von 1545 zurückkehrt. Zugleich wird sie auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sein: sprachlich, historisch.

Wer die Revision der Bibel als Fingerhakelei von Fachleuten um einzelne Worte versteht, dem könnten leicht die positiven Veränderungen entgehen. Es gibt erfreuliche Akzentverschiebungen. Sie betreffen zum Beispiel den Umgang mit dem Gender-Thema. So sprach der Apostel Paulus in seinen Briefen, auch wenn oberflächlich nur die „Brüder“ gemeint zu sein ­scheinen, die ganzen Gemeinden an, in denen es bekanntlich hoch engagierte und kluge Frauen gab. Dem heutigen Sprachverständnis folgend, wird das nun auch im Text so wiedergegeben. Oder: Statt des „Lobs der tüchtigen Hausfrau“ ist nun vom „Lob der tüchtigen Frau“ in einer Überschrift die Rede (Sprüche 31,10).

Der Münchner Theologe Christoph Levin, auch er Mitglied des Gremiums mit dem hübschen Namen Lenkungsausschuss, begründet das so: Eine „Hausfrau“ lässt heutige Leser an die bürgerlichen Verhältnisse des vergangenen Jahrhunderts denken. Aber Luther hatte andere Frauen vor Augen. Seine Käthe verwaltete ein Gut und eine Brauerei. „Heute denkt man bei einer Hausfrau an eine Frau, die mit dem Putzlappen hinter ihrem Mann herwischt“, sagt Christoph Levin. „Aber in der Bibel ist hier eine Frau gemeint, die das Haus besitzt und beherrscht.“

Ein neuer Ton im Bibeltext

Aber mehr noch beziehen sich die Veränderungen auf das Bild des Judentums. Das schleichende Gift der Judenfeindschaft hatte in früheren Übersetzungen deutliche Spuren hinterlassen. Die revidierte Lutherbibel zeigt ein positiv verändertes Verhältnis der Kirche zum (biblischen) Volk Israel und zum Judentum. Auch wenn es die Bibelübersetzer nicht gezielt darauf angelegt hatten, hat ihre Arbeit faktisch dieses Ergebnis gebracht. Das überrascht mich nicht, gibt es doch eine 50-jährige Diskussion über das Verhältnis von Juden und Christen.

Erledigt ist in der theologischen Lehre und in der Verkündigung schon längst die sogenannte Enterbungslehre. Kein ernstzunehmender Christ wird noch behaupten, dass die Juden in der Gunst Gottes von den Christen abgelöst worden seien. Statt einer Besser-schlechter-Rhetorik tritt nun der Kerngedanke ins Zentrum: Die Juden sind seit eh und je von Gott erwählt, und daran hat sich durch das Aufkommen der Christen nichts geändert. Die „bleibende Erwählung des Volkes Israel“, um die sich alles dreht, ist einer der Kerngedanken des Neuen Testaments, und sie tritt in der revidierten Bibel wieder klarer hervor. 

Das sind doch mehr als sublime Wortspiele in der Lutherbibel 2017. Einige Beispiele aus dem Römerbrief: Aus der Überschrift „Die Anklage gegen die Juden“ wurde „Fragen an die Juden“. Das klingt gleich viel freundlicher (Kapitel 2)! Aus „Israel hat keine Entschuldigung“ wurde „Warum ist Israel nicht zum Glauben gekommen?“ – eine offene Frage statt eines Urteils (Kapitel 10). Aus „Nicht ganz Israel ist verstockt“ wurde „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“ – an die Stelle moralischer Abwertung ist eine Sachaussage getreten (Kapitel 11). Nicht nur in Überschriften, auch im Bibeltext selbst ist ein neuer Ton zu vernehmen.

Aus dem „Rest“ Israels, der sich der christlichen Botschaft geöffnet und deshalb Gottes Gnade gefunden hatte, sind „einige“ geworden. Das klingt nicht nach einem hoffnungslosen Überrest eines Volkes, sondern nach den Vorboten einer neuen Zukunft. Und ganz anders hört sich auch die Rede von den Erwählten an statt der Auserwählten (im jüdischen Volk, die Christus für sich entdeckt haben). Auserwählte: das hat was von Weltverschwörung. Aber die „Erwählten“ sind ein offener Kreis hoffnungsfroher Menschen (Kapitel 11).

Katholiken stritten noch um frauengerechte Sprache

Endlich: Auch die böseste antijüdische Fehlleistung ist vom Tisch: die „Synagoge des Satans“ im Buch der Offenbarung (2,9). Das war nicht einmal Originalton Luther – der hatte von einer „Schule des Satans“ gesprochen. 1956, elf Jahre nach dem Holocaust!, war Satans Synagoge in die Bibel hineingeraten. Gemeint sind damit Leute, die behaupten, Juden zu sein, es aber nicht sind. Im Deutschen denkt man bei einer Synagoge an den Gebets- und Versammlungsraum einer jüdischen Gemeinde. Nun ist in der Lutherbibel von einer „Versammlung des Satans“ zu lesen. Eine absolut notwendige Klarstellung.

Mein persönliches Lieblingswort in der neuen Bibel: Aus den „Zuträgern“, den von Paulus kritisierten Denunzianten, den IMs, sind „Ohrenbläser“ geworden (Römerbrief 1,29). Luthers Wort von 1545 wurde wiederentdeckt. Wie schön ist denn das!

Die evangelische Kirche kann mit ihrer Arbeit zufrieden sein, auch damit, dass die neue Bibel der neuen katholischen Bibelübersetzung zuvorkommt. Die war zwar schon vor zwei, drei Jahren weitgehend fertig. Doch sie wird frühestens im Frühjahr 2017 erscheinen. Einer der Gründe für die Verzögerung: innerkatholische Debatten um die frauengerechte Sprache.

Jedes Mal, wenn ich in Wittenberg im „Schwarzen Kloster“, dem Lutherhaus, bin, staune ich darüber, wie bescheiden der Esstisch der Familie Luther ist. Käthe von Bora saß und debattierte daran mit ihrem Mann, mit anderen Theologen, mit Studenten, Freunden. Eine Frau im Zentrum der Reformation: eine für die Kirche prägende Erfahrung, die durch nichts aufzuwiegen ist. 


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