Wege aus der Medienkrise
Foto: Emanuela de Santis / Anzenberger
In Libyen kämpfen viele Gruppen um die Macht. Wer genau? Davon muss man sich ein Bild machen
chrismon: Wie groß ist das Misstrauen in die Medien?
Uwe Krüger: Es ist leider erheblich. 60 Prozent der Deutschen glauben, Medien würden Meinungen ausblenden, die sie für unerwünscht halten. Und 39 Prozent sagen, dass an dem Vorwurf der „Lügenpresse“ etwas dran sei. Und das sind nur zwei Zahlen aus zwei Umfragen.
War das jemals anders?
Wir haben kaum Langzeitdaten. Kürzlich sagten in einer Umfrage 30 Prozent, ihr Vertrauen in die Medien sei in den vergangenen Jahren gesunken. In den USA halten nur 40 Prozent der Bevölkerung die Medien für glaubwürdig. Vor 40 Jahren waren es über 70 Prozent.
Als gäbe es eine Zensurbehörde in den USA und Deutschland...
Natürlich nicht! Aber nehmen wir die Ukraine-Berichterstattung: Der Tenor in den großen deutschen Medien war, dass Putin allein schuld an der Eskalation sei. Es gab aber immer auch viele Menschen in Deutschland, die dem Westen und der Nato eine Mitschuld an der Zuspitzung gaben. Diese Sicht war medial unterrepräsentiert.
Es gab offensichtlich russische Truppen auf der Krim, Oppositionelle haben unter Putin Probleme, Homosexuelle auch...
Aber darf ein Journalist das Problem der Homophobie in Russland mit der Ukraine-Krise vermengen? Nein! Die Medien bei uns haben die Maidan-Proteste geopolitisch viel zu wenig eingeordnet. Das Narrativ in Deutschland war: Ein Volk erhebt sich gegen ein korruptes Regime unter Janukowytsch, der böse Putin mischt sich ein und klaut die Krim. Dass die USA seit Anfang der 90er Jahre um Einfluss in der Ukraine ringen, ist zwar gut belegt – kam aber in unseren Zeitungen zu kurz. Ich führe das darauf zurück, dass es unter Journalisten einen Meinungs-Mainstream gibt, ohne dass jemand diesen Gleichklang jemals bewusst herbeigeführt hätte.
Was sind die Gründe für diesen „Mainstream“?
In den Redaktionen für Außenpolitik sitzen viele Transatlantiker, also Redakteure und Ressortleiter, die eher US-nah eingestellt sind und – vermittelt über viele Vereine, Stiftungen oder Konferenzen – häufiger Kontakt zu amerikanischen Entscheidungsträgern haben. Teilweise sind sie schon während ihrer Ausbildung in solche Netzwerke hineingewachsen. Diese Nähe zu den USA ist historisch bedingt und war in den 50er Jahren auch wahnsinnig wichtig. Noch heute gilt aber in öffentlich-rechtlichen Anstalten: Karriere macht, wer eine Zeit in Washington Korrespondent war. Förderlich für den Medien-Mainstream ist auch, dass Journalisten eine ähnliche Herkunft haben. Die Allerwenigsten kommen aus einem kleinbürgerlich-konservativen Umfeld oder sind Arbeiterkinder. Es ist auffällig, dass in diesem Milieu viele Themen aufkommen, die sich die AfD zu eigen macht.
Welche Themen meinen Sie?
Neurechten und islamfeindlichen Blogs und Publikationen ist es offensichtlich über das Internet gelungen, auf sehr schmutzige Weise Geschichten zu erzählen, die viel Anklang finden. Als politisch grundsätzlich links denkender Mensch tut es mir weh zu sehen, dass diese Leute ein Thema gefunden haben, das der vernünftige und demokratische Teil dieser Gesellschaft viel offener diskutieren müsste. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele Journalisten nicht in Gegenden wohnen, in denen es Probleme mit der Integration gibt.
Was raten Sie Reportern, um Vertrauen zurückzugewinnen?
Wenn ich meine Studenten ins Berliner Regierungsviertel schickte, würden sie sicher schnell die Nähe zu Politikern, Referenten und Pressesprechern suchen, um an Informationen zu kommen. Das ist normal. Deshalb rate ich Nachwuchsjournalisten, sich ganz bewusst nicht immer nur an den Hotspots der Nachrichtenproduktion aufzuhalten. Sie sollten rausgehen ins Land, empathisch sein und den Menschen zuhören. Verlegern und Chefredakteuren rate ich, auch Nichtakademiker einzustellen, die ganz andere Geschichten mitbringen. Generell rate ich dazu, Stellen zu schaffen und nicht zu streichen, damit es in den Redaktionen genug Zeit für Recherche und Reflexion gibt. Und warum nicht einen redaktionsinternen Advocatus Diaboli ernennen, der bewusst gegen den Strich bürstet? Damit es häufiger nicht nur den einen Kommentar gibt, sondern ein Pro und Contra – mit unpopulärer Gegenmeinung.