Vater hat Skrupel, seinen kleinen Sohn bei Tagesmutter abzugeben [1]
Andreas Reeg
Das dauerte, bis Jannis die Tagesmutter morgens fröhlich begrüßte. Felix Ehring, 34, verlor fast die Hoffnung
Jannis schreit, weint, klammert sich an meiner Hose fest. Alles an ihm sagt: Ich will nicht! Am liebsten würde ich ihn wieder mitnehmen. Doch das geht nicht, denn meine Lebensgefährtin und ich haben einen Entschluss gefasst. Also übergebe ich Jannis an Frau H., unsere Tagesmutter. Damit ist der Verrat endgültig. Jannis heult auf, fassungslos über die Kaltschnäuzigkeit seines Vaters, der seinen Sohn noch einmal schief angrinst und zusieht, dass er wegkommt. Schuhe an, Wohnungstür zu. Gedämpft klingt das wütende Weinen bis in den Hausflur.
Es ist die dritte Woche, in der ich jeden Morgen mit Jannis bei Frau H. bin. Vier Wochen haben wir für die Eingewöhnung angesetzt, es sind die letzten vier Wochen meiner Elternzeit. Ein halbes Jahr habe ich mich um Jannis gekümmert, und es war schön.
Nun will ich wieder arbeiten. Auch Jannis’ Mutter arbeitet wieder, in Teilzeit. Wir haben keine unbefristeten Arbeitsverträge, wir wollen und müssen beide Geld verdienen. Jannis muss sich fügen. Doch das tut er nicht.
Ich muss mich auf Frau H. verlassen, ihr vertrauen
Am Ende der dritten Woche weint Jannis immer noch los, wenn ich die Wohnung von Frau H. verlasse. Von außen lausche ich an der Wohnungstür. Frau H. trägt Jannis umher und singt ein Lied. Immerhin, nach ungefähr einer Minute höre ich ihn nicht mehr. Durchatmen. Oder hat Frau H. nur das Zimmer gewechselt? Ich sitze drei Stunden im Café und lese. Diese Ruhe, diese Zeit. Lange nicht gehabt.
Als ich danach an der Tür klingele, höre ich ihn brüllen. Frau H. öffnet, Jannis sitzt verheult auf ihrem Arm. Frau H. sagt, was sie seit drei Wochen sagt: „Das ist normal!“ Aber was ist normal? Johanna, Tochter von Freunden, hat schon nach einer Woche in der Kita ihren Mittagsschlaf gemacht; der kleine Theo fühlt sich bei seinen Tageseltern bereits nach zwei Wochen wohl. Alle drei sind elf Monate alt, aber am empfindlichsten scheint Jannis.
Trotzdem finde ich, dass es gut für ihn ist, mit den anderen Kindern bei Frau H. zu spielen und sich mit ihnen zu arrangieren. Solange ich dabeisitze, klappt das auch. Was mich beunruhigt: Ich weiß nicht, wie es ihm geht, wenn ich nicht da bin. Sitzt er traurig auf dem Laminatfußboden? Frau H. sagt mir beim Abholen, dass Jannis zunächst schlafe und dann auch spiele. Erst wenn er die Klingel höre, weine er wieder, weil er sich erinnere, dass ich weg war. Ich muss mich auf Frau H. verlassen. Ich vertraue ihr, aber es geht eben um meinen Sohn.
Frau H. war ein Tipp von Freunden. Sie war uns sofort sympathisch: Anfang 50, erfahren, entspannt, warmherzig. Beim ersten Kennenlernen griff sie gleich an der Tür nach Jannis und trug ihn in ihre Wohnung, in der es alles für die Kinder gibt: Spielzeug, Kindertisch, Schlafplätze, Ecken zum Verstecken. Frau H. behielt Jannis auf ihrem Schoß, machte mit ihm Späßchen. Jannis lachte, wir waren von ihren tagesmütterlichen Kompetenzen überzeugt.
Es klappt immer besser
Am Sonntagabend, nun beginnt die vierte Woche der Eingewöhnung, liege ich wach im Bett. Soll ich meiner Lebensgefährtin sagen, dass ich die Eingewöhnung nicht mehr für eine gute Idee halte? Weil Jannis einfach noch nicht so weit ist wie die anderen Kinder? Ich will ihn nicht mehr weinen sehen. Nur: was dann? Meine Chefin anrufen und ihr sagen, dass ich doch nicht zurückkomme ins Büro? Nein, das will ich nicht. Mist!
Die vierte Woche der Eingewöhnung: Am Montag weint Jannis, als ich gehe, aber nicht mehr aus voller Kraft, es ist eher ein Meckern mit zwei, drei Tränen. Und als ich mittags klingele und in die Wohnung komme, strahlt er mich an. Wow! Stolz hebe ich Jannis hoch: „Lachst du!?“, frage ich ihn mehrmals in der etwas debilen Art, in der stolze Eltern mit ihren Kindern reden.
Es klappt nun immer besser. Jannis isst statt Brei sein erstes Mittagessen bei Frau H., die aus Bangladesch stammt. Sie kocht mit Kreuzkümmel, Ingwer und Knoblauch. Jannis schmeckt es. Ich sitze währenddessen am Schreibtisch, telefoniere, maile, grübele. Der Kopf kriegt sein Futter. Hole ich Jannis ab, trägt er oft eine Knoblauchfahne vor sich her. Und als ich ihn eine Woche später morgens auf dem Arm habe und Frau H. ihre Wohnungstür öffnet, reißt Jannis die Hände nach vorn und lässt sich lachend in ihre Richtung fallen. Klare Sache: eingewöhnt!