Mikrokredite für die Ärmsten
Marta Nascimento/REA/laif
Erfolg – Ohne Mikrokredite gäbe es diese Hängematten nicht.
chrismon: Muhammad Yunus hat 2006 den Friedensnobelpreis erhalten, weil er die Mikrokredite erfunden hat. Die stecken heute in der Krise. Was ist passiert?
Wiebke Bartz: Die Mikrokredite galten als Allheilmittel, um Armut zu bekämpfen. Die Hoffnungen waren wohl zu groß.
Was haben Mikrokredite denn bewirkt?
Sie haben Kleinstunternehmen und armen Haushalten Zugang zu formalem Kredit gegeben. Die Menschen haben damit die Möglichkeit, finanzielle Risiken und Chancen zu managen. Ob es weitere Auswirkungen gibt, sollen rigorose Wirkungsanalysen zeigen.
Was ist das?
Man vergleicht zwei Gruppen. Etwa einen Ort mit und einen ohne Mikrokredite. Das ist schwierig. Vielleicht hat in der Nähe des einen Ortes eine Fabrik eröffnet, die Jobs schafft. Das verfälscht das Ergebnis. Jedenfalls hat keine Studie einen eindeutig positiven Einfluss auf Einkommen und Armut der einzelnen Kreditnehmer gezeigt. Trotzdem finde ich: Mikrokredite helfen den Menschen, besser in Armut zurechtzukommen.
Das ist sehr ernüchternd!
Kommt auf die Perspektive an: Wenn sich Eltern ein Medikament für ihr krankes Kind nur mit einem Mikrokredit leisten können, müssen sie nicht zum „Moneylender“, der Wucherzinsen verlangt. Es geht nicht nur um Kredite; zur Mikrofinanzierung gehören auch Versicherungen. Oder Sparmöglichkeiten – zum Beispiel, um das Geld aus einer unerwartet guten Ernte anzulegen.
Sie waren 2011 für drei Monate in Ghana. Was war Ihre wichtigste Erkenntnis?
Dass der Aufwand enorm ist. Kaum einer der Mikrokreditnehmer in Ghana führt eine Bilanz. Die Menschen kamen mit einem Stapel Rechnungen. Der Berater musste schauen, wie viel Kreditvolumen verantwortbar ist. Ich fuhr mit ihm per Motorrad zu Kakaofarmen; Straßen gibt es kaum. Zum Glück bekam ich als Sozius auch einen Helm. Wir wollten wissen: Wie viel Hektar bewirtschaftet der Bauer? Wie groß wird die Ernte sein?
Haben Sie dort gute Kaufleute getroffen?
Ja! Die Rückzahlungsraten in Ghana reichen an die 100 Prozent, wie in Deutschland.
Warum ist es dann zur Krise gekommen?
Weil die Rückzahlungsraten hoch waren, sind immer mehr Banken und andere Finanzinstitutionen in das Geschäft eingestiegen. So kam mehr Geld auf den Markt. Die Kreditnehmer wurden nicht überall so intensiv begleitet, wie ich es in Ghana kennengelernt habe, mit teilweise schlimmen Folgen: In Indien gab es Selbstmorde von Kunden, die überschuldet waren. In Bosnien und Herzegowina und Nicaragua mussten 40 Prozent der Schuldner mehr als einen Kredit bedienen, weil sie bei mehreren Instituten Geld geliehen hatten. Übrigens gab es im Jahr 2000 schon einmal eine Rückzahlungskrise in Bolivien. Leider scheint man nur dort die richtigen Schlüsse gezogen zu haben.
Wie hoch ist eigentlich ein Mikrokredit?
Das fängt bei 100 Dollar an, der Durchschnitt liegt vielleicht bei 1000 Dollar, das kommt aufs Land an. Die Zinsen liegen in Osteuropa bei 15 bis 20, in Afrika bei 20 bis 30 Prozent.
Wie will man sich da rauswirtschaften?
Indem die Kredithöhe an die persönlichen Einnahmen gekoppelt und die Laufzeit kurz ist. Der Grundgedanke ist ja nicht, die Menschen in Armut zu bringen, sondern ihnen zu helfen, sich aus der Armut zu befreien.
Und in zehn Jahren?
Wird es immer noch Mikrokredite geben –hoffentlich mit Unterstützung nationaler und internationaler Geber. Das können Fonds sein. Und Staaten. Deutschland kann etwa über die KfW-Bank helfen. Sonst müssen sich die Armen wieder dem informellen Finanzsektor zuwenden. Und dort sind die Zinsen dramatisch höher.