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Kunst des Augenblicks
Erfreuliche Tage in Nürnberg. Nur ein befremdlicher Satz des Bundespräsidenten geht mir nach. Aber ich will mich nicht zu lange über ihn ärgern, sondern mich lieber über zwei Kunstaustellungen für den Kirchentag freuen.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
09.06.2023

In seiner Begrüßung meinte Bundespräsident Steinmeier, die Gäste des Kirchentags streng ins Gebet nehmen zu müssen. Vielleicht befürchte er, es könne zu pazifistischen Eskalationen kommen. Deshalb versuchte er, alle schon zu Beginn auf die Regierungslinie einzuschwören. Gegen diese habe ich ja gar nichts. Aber der Satz, mit dem Bundespräsident am folgenden Tag zitiert wurde, ist eine seltsame Abwandlung des aus dem Neuen Testament stammenden Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“ in „Zeit ist die Zeit … auch für Waffen“. Das war mir zu viel. Es gibt gute politische und verantwortungsethische Gründe für Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber die Bibel sollte man da besser raushalten.

Doch jetzt möchte ich auf etwas Schöneres hinweisen: zwei sehr anregende Kunstausstellungen zum Kirchentag. Die eine nimmt mit ihrem Titel „Momentum“ das Motto auf und versammelt Werke, die „die Kunst des Augenblicks“ zeigen. Es sind Skulpturen und Installationen von zwölf Künstlerinnen und Künstlern vor allem aus Bayern. In ihren oft sehr konzeptuell angelegten Arbeiten fragen sie nach der Zeit jetzt, aktuellen Zeitenwenden und Zeitenbrüchen. Zu sehen ist die Ausstellungen im Neuen Museum, zum Glück noch weit über den Kirchentag hinaus, nämlich bis zum 24. September.

Die andere Ausstellung wird in der sehr schönen Kulturkirche St. Egidien gezeigt. Sie trägt den Titel „Locked Out. Hier ist der Raum“. Kunstwerke, die im Lockdown geschaffen worden sind, sind hier von der Leine gelassen. Jetzt erobern sie sich diesen sakralen Raum: Haupt- und Nebenschiff, Altar und Gestühl. Farbig und vielgestaltig geht es zu, Schaulust stellt sich ein.

Ein Bild geht mir besonders nach. In „Götterdämmerung“ persifliert Johannes Kerstin eine Ikone der protestantischen Romantik, nämlich den Tetschener-Altar von Caspar David Friedrich. Bis auf ein entscheidendes Detail malt er das berühmte Bild nach. Nur den Kruzifixus auf dem Gipfel hat er ersetzt durch zwei riesige Hinweisschilder für eine Autobahnraststätte: Das Shell-Logo glänzt sakral im Abendlicht. Ich fand das gar nicht frech oder vordergründig. Es ist ein treffendes Stück künstlerischer Religionskritik, die wir bitter nötig haben. Getröstet hat mich, dass er einen alten Kruzifixus davorgestellt hat. So kann man sich fragen, woran man sein Herz hängen möchte: die Automobilität oder Jesus Christus.

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