Eine Frau malt mit einem Pinsel auf einen Teller in ihrer Hand
Eine Malerin verziert einen Teller
Sarah Zapf
Zerbrechliche Tradition
Als Kind hatten wir Teller und Tassen im Zwiebelmuster, weit verbreitet, nicht nur in Sachsen. Vor einigen Jahren besuchte ich die Meissener Porzellanmanufaktur.
Julian Leitenstorfer
01.06.2023

Als ich ein Kind in der Grundschule war, hatte man Vater ein kleines Antiquitätengeschäft in der untersten Etage seines Elternhauses. Gesammelt hatte er schon immer gerne. Meine Oma väterlicherseits lebte zu dem Zeitpunkt noch, mein Opa war schon lange verstorben. Das Haus war ein schmales, grün angestrichenes Stadthaus, das in einer Seitenstraße nahe des Marktplatzes lag. In der Schmiedegasse. Das Geschäft hat mein Vater kurz nach der Wende eröffnet, in einer Zeit, in der sich viele beruflich neu orientieren mussten. In der DDR führte er lange Zeit das Heizungsbaugeschäft seines Vaters.

Über dem Geschäft hing ein Schild. „Zapfs Antikstube“. Eine Stube war es tatsächlich. Für mich fühlte es sich wie eine kleine Räuberhöhle an, mit einem etwas schummrigen Licht und merkwürdigen Gerüchen. Ganz hinten in dem langgezogenen Raum saß mein Vater hinter dem Schreibtisch. Irgendwie hatten alle Gegenstände, alle Figuren und Sammelobjekte in dem Geschäft ihre Faszination für mich als Kind. 

Besonders fielen mir aber immer wieder Teller und Tassen sowie verschiedene kleine Figuren auf, die mein Vater ab und an in den Regalen zum Verkauf anbot. Ich mochte die schnörkeligen und reichlich verzierten Teller mit dem glänzenden Weiß. Anfassen durfte ich jedoch nichts davon. „Zu wertvoll, es kann kaputt gehen“, meinte mein Vater mit strengem Blick, oft auch etwas fahrig. Auf der Unterseite der Teller und Tassen war ein kleines unscheinbares Symbol gemalt: zwei kleine Schwerter in einem Blauton. 

Porzellan vom Elbufer

Meissener Porzellan. Als Kind sah ich einzelne Stücke immer wieder: zuhause in Form des Geschirrservices mit dem bekannten Zwiebelmuster, aber auch bei anderen Familien und Bekannten, die oft Einzelstücke fein säuberlich in der Vitrine aufbewahrten. Die sächsische Geschichte, die einstige Glanzzeit im Königshaus und die aufstrebende Industrielandschaft sind eng mit der Gründung und dem Erfolg der sächsischen Porzellanmanufaktur verbunden. Meissener Porzellan ist Porzellan der ersten Stunde in Europa. Gegründet im Jahr 1710, war die Produktionsstätte zunächst auf der Albrechtsburg in der Stadt Meißen. Lange Zeit kannte man das „Weiße Gold“ nur aus China. In Europa gelang es schließlich mit einer Mischung aus Ton, Quarz und Feldspat selbst Porzellan herzustellen. 

August dem Starken lag das zerbrechliche Porzellan offensichtlich am Herzen, schließlich gründete er per Dekret die „Königlich-Polnische und Kurfürstlich-Sächsische Porzellan-Manufaktur“. Im 18. Jahrhundert war es sogar lange Zeit die führende Manufaktur. Später ging sie aus dem Besitz der Krone in den Sächsischen Staat über, wo sie sich ab 1918 „Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen“ nannte. 

Ein Besuch in der Meissener Porzellan-Manufaktur lohnt sich. Schon alleine wegen den filigranen, aufwendig gefertigten Figuren

Auch heute noch hat sie ihren Sitz in Meißen und beschäftigt fast 500 Mitarbeiter. Das sächsische Unternehmen hat es über Jahrhunderte hinweg geschafft, Kunstfertigkeit und Bewusstsein für Tradition zu verbinden und sich im internationalen Markt einen festen, geschätzten Platz im Luxussegment zu sichern.

Meissener Porzellan hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Betrieb als Reparationsleistung in die Sowjetunion über. Diese beschlagnahmten auch zahlreiche Kunstschätze der Schauhalle - aus zweieinhalb Jahrhunderten. 1950 wurde die Manufaktur nach der Gründung der DDR in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt. In den 1960er Jahren war die Manufaktur der achtstärkste Devisenbringer im Staat. Die DDR Führung wusste, was sie mit dem Meissener Porzellan hat. Für viele Käufer stellte sie zudem eine stabile Wertanlage dar. 

Jahrhundertelange Tradition in tief roten Zahlen

Mit dem eigens gegründeten „Kollektiv Künstlerische Entwicklung“ setzten die Formgestalter in den 60er Jahren zunehmend neue Akzente und brachten neue Ideen ein. Meine Mutter fuhr mit meinem Opa als Jugendliche nach Meißen in die Manufaktur, um die Arbeit kennenzulernen. Sie hatte Interesse, eine Ausbildung als Malerin und Gestalterin zu beginnen. Ihr ausgesprochenes Fingerspitzengefühl, die Liebe für Details und ihr künstlerischer Sinn wären sicherlich gute Voraussetzungen gewesen. Eine Bekannte riet jedoch ab. Fließbandarbeit sei es, mit nur wenig Gestaltungsspielraum. Meine Mutter hatte deshalb die Überlegung nach abgeschlossener Berufsausbildung an die Kunstschule in Schneeberg zu gehen. Dann lernte sie jedoch meinen Vater kennen, wurde schwanger und blieb im Erzgebirge. Mein Vater unterstützte sie auch nicht in ihrem Vorhaben.

Vor vier Jahren haben mein Freund und ich die Manufaktur besucht, als wir einige Tage über Pfingsten in der Sächsischen Schweiz verbracht haben. Die Manufaktur musste nach der Wende fast die Hälfte der Mitarbeiter entlassen - von den einstigen 1800 Beschäftigten mussten 700 gehen. Heute ist sie im Besitz des Sächsischen Freistaates und kämpft um ihre Existenz. Die schwierige Situation habe ich bei meinem Besuch in Meißen kaum wahrgenommen, als ich in einer Gruppenführung durch die Schauwerkstatt ging, wo man alle Schritte der Herstellung kennenlernt - und danach ein weitläufiges Museum besucht. 

Auch heute noch werden viele Stücke in Handarbeit angefertigt und verziert. Den Malerinnen bei ihren winzigen Pinselstrichen zuzuschauen, dieser kleinteiligen Arbeit hin zu einem Kunstwerk hat mich nachdenken lassen.

Sind solche Dinge eigentlich noch gefragt? Geht der Trend nicht eher hin zum Minimalismus, weg von Prunk und opulenten Designs?

Die Manufaktur ist dabei, sich neu zu erfinden, weiterzuentwickeln. Nur in ihrer Tradition darf sie nicht verharren. Die Konkurrenz ist zu groß, der Sinn für Schönes schwindet und viele Menschen möchten sich keine Figuren mehr in die Wohnung stellen. Die Teller mit dem Zwiebelmuster würde ich aber noch heute verwenden. Als Ausdruck zeitloser sächsischer Tradition. 

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