Wohnlage Main Reihenhaussiedlung mit Gemeinschaftsflächen
privat
Zweckgemeinschaft, keine Liebesheirat
Häufig berichte ich hier über Gemeinschaften, die zusammen etwas bauen und dann zusammen leben wollen. Gabriele Meister aus Mainz und ihr Mann Patrick haben ein Reihenhaus gekauft. Eigentlich eine Zweckgemeinschaft – doch vielleicht geht ein bisschen mehr?
Tim Wegner
09.02.2023

Meine Kollegin Gabriele Meister kenne ich aus der Zeit, als sie bei chrismon arbeitete. Sie lebt mit ihrem Mann in Mainz, dort habe ich sie Ende 2019 besucht. Das zweite Kind war gerade unterwegs, ihre Mietwohnung würde da nicht mehr ausreichen,  weil sie nur ein neun-Quadratmeter Kinderzimmer und kein Arbeitszimmer bot – als freie Journalistin braucht sie ein Arbeitszimmer zu Haus. Es müsse sich was ändern, erzählte sie mir damals.

Mittlerweile hat sich was geändert. Erstens sind sie jetzt zu viert, zweitens sind sie innerhalb ihres Stadtteils Mainz-Bretzenheim umgezogen in ein Reihenhaus. Neulich telefonierten wir und sie erzählte mir, dass ihre Idee, die ungenutzten Flachdächer der zwanzig Häuser an einen Photovoltaik-Anbieter zu verpachten, keine Chance hätte: Bei der Siedlung handele es sich um eine Bruchteilsgemeinschaft, und da müsse jede Partei einen eigenen Pachtvertrag abschließen und im Grundbuch eintragen lassen. Zu kompliziert für den PV-Anbieter.

Bruchteilsgemeinschaft? Reihenhaussiedlung? Beides war in der Wohnlage noch nie vorgekommen. Als verabredeten wir uns für ein weiteres Gespräch, diesmal mit Ehemann Patrick zusammen. Er ist Physik-Professor an der Uni Mainz, die Kinder sind jetzt zwei und vier Jahre alt.

Die Siedlung „Immergrün“ mit 20 Reihenhäusern in Mainz-Bretzenheim wurde von einem Mainzer Projektentwickler 2020/21 entwickelt. Sie entstand auf einem ehemals städtischen Gelände mit großer Tennishalle. Es gibt viel Grün auf dem Gelände, Gehölze, Besucherparkplätze, einen Spielplatz.

Patrick und Gabriele bewohnen 130 qm und zahlten 520 000 Euro für das Haus sowie anteilig die Gemeinschaftsflächen; der Grund unter ihrem Haus jedoch gehört noch einem Sparkassenfonds, an den sie jetzt für 15 Jahre Erbpacht zahlen. Dann könnten sie kaufen.

Die Konstruktion zwischen Erbpacht und Besitz habe es den beiden überhaupt ermöglicht, ein eigenes Haus zu erwerben, berichtet Gabriele, denn normalerweise lägen Häuser in dieser Gegend und mit dieser Ausstattung bei fast ein Million Euro: „Dafür hätten wir bei der Bank nie einen Kredit bekommen.“

Und was ist jetzt eine Bruchteilsgemeinschaft?

Eigentlich nichts Besonderes, Menschen besitzen gemeinsam Eigentum, so wie zum Beispiel eine Erbengemeinschaft. In Gabrieles Fall gehören der Gemeinschaft zusammen Flächen mit einem Spielplatz, einer Zufahrtsstraße und einem Blockheizkraftwerk. Bei diesen Gemeinschaftsflächen stehen alle zusammen im Grundbuch. Die Reihenhäuser jedoch gehören jeder Partei extra. Es existieren vermutlich Zehntausende von Reihenhaussiedlungen dieser Art in Deutschland.

In der Siedlung Immergrün allerdings gab es keine Verwaltung vom Bauträger, die Jung-Besitzer*innen mussten sich allein organisieren. Und das hieß: Teilhabe, Mitbestimmung, viel ehrenamtliche Arbeit, Community-Building, also genau das, was mich damals dazu bewogen hatte, eine BauGEMEINSCHAFT zu begründen.

Rat von der Fachanwältin

Patrick und Gabriele wollten vor allem nur ein Haus mit Platz im Grünen für die Kinder.  Mitten in der sowieso schon für junge Familien so anstrengenden Corona-Zeit saßen sie 2022 regelmäßig in späten Zoom-Sitzungen. Vieles musste besprochen werden, allein so etwas ein gemeinsames Bankkonto ist bei einer Bruchteilsgemeinschaft nicht einfach zu bekommen. Es gab Menschen, die all dies im Ehrenamt erledigten. Am wichtigsten und kompliziertesten war die Ausarbeitung einer eigenen Satzung.

Worüber ich mich sehr gefreut habe (weil: Die Welt ist klein): Ihre beratende Fachanwältin war Angelika Majchrzak-Rummel, genau die, über deren Arbeit ich schon mal hier berichtet habe. Ohne ihr Fachwissen, so erzählte es Gabriele, wäre die Gruppe noch lange nicht so weit wie heute. Für alle, die mehr wissen wollen zu Bruchteilsgemeinschaften – hier ist der Link auf Angelikas Seite.

Wie weit sind sie heute?

Beide wohnen gerne in ihrem Haus. Nicht mit allen in der Siedlung unterhalten sie einen engen Kontakt. Schön sind die vielen jungen Familien, die vielen Kinder. In einigen Fällen wurde aus der zufälligen Nachbarschaft eine enge Freundschaft. 

Zäune zwischen den Grundstücken gibt es bis jetzt kaum. Im letzten Sommer hätten die Kinder „Planschbecken-Hopping“ durch alle Gärten gemacht. Es geht pragmatisch und friedlich zu, erzählte Gabriele. Blätter würden "automatisch weggefegt von Menschen, die gerade dran denken“, ebenso werde Schnee geschippt. Richtig festgelegt wurde bisher nur, dass die Leute mit Eckgrundstück im Sommer einmal die Woche die Wassersäcke für die Bäume füllen und die Gemeinschaft dafür zahlt.

Ganz schön erbärmlich für ein Siedlungsprojekt von 2019

Doch bei allem Pragmatismus ist klar: Die Siedlung ist eine Art „Zwangsgemeinschaft“ mit unterschiedlichen Interessen und finanziellen Möglichkeiten.

Gabriele beispielsweise findet es ziemlich erbärmlich, dass noch 2019 ein so großes Wohnprojekt mit derart niedrigen Öko-Standards von der Stadt Mainz überhaupt erlaubt worden sei. Es gibt keine Vorrüstung für E-Stationen in den Car-Ports gibt; keine verpflichtende PV-Anlage auf den Dächern, stattdessen zwar ein eigenes Blockkraftheizwerk, aber eben auch einen auf viele Jahre festgezurrten Vertrag für dessen Betrieb, den Bauträger und Blockheizkraftwerkbetreiberfirma ausgehandelt hatten.

Wer daran etwas ändern will, braucht Mehrheiten; anderes geht schon mal grundsätzlich nicht, wegen komplizierter Bruchteilsgemeinschaft, s. Antwort PV-Anbieter auf Solaranlagen auf allen Dächern oben.

Und bei allem, was gemeinschaftlich möglich und denkbar wäre: Dafür müssten sich auch Patrick und Gabriele einig sein. Gabriele hätte gern mehr Gemeinschaft (z.B. ein Gemeinschafts-Auto oder Lastenfahrrad); Patrick dagegen ist das oft zu viel.

Auch in meiner Ehe hat es schon sehr oft gekriselt, weil ich gerne noch mehr Gemeinschaft und noch mehr Absprachen untereinander hätte; meinen Mann dagegen nerven die vielen Zankereien, die sich dann auch daraus ergeben.

Mal schaun:  Zweckgemeinschaften halten ja oft länger als Liebesheiraten. Ich bin gespannt, wie es in Mainz weitergeht.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.