Indianerhäuptling Winnetou und "Blutsbruder" Old Shatterhand
Sarah Zapf Karl May Winnetou
United Archives/IFTN
"Wildwest" auf Sächsisch
Um Karl May entfachte sich im vergangenen Sommer eine emotionale Debatte. Nicht mehr zeitgemäß und voller rassistischer Stereotype aufgeladen seien die Bücher rund um Winnetou und Old Shatterhand. Kann es trotzdem ein kindgerechtes Abenteuer sein?
Julian Leitenstorfer
02.02.2023

Ich saß leicht hibbelig auf meinem Stuhl. Die Anspannung und Aufregung fühlte ich in meinem Körper. Es war heiß, Juli. Vor mir tuschelten verschiedene Menschen, die auf einer Holzbank Platz genommen hatten.

Neben mir saß meine Mutter. Langsam füllte sich der Ort, Bank für Bank, Stuhl für Stuhl wurde belegt. Ich war nicht das einzige Kind - viele Familien hatten den Weg an diesem Nachmittag hierher gefunden.  

Imposant wirkten auf meine kindliche Fantasie die Felsformationen, die sich mit ihrem geriffelten Gesteinsmuster wie Figuren in die Höhe erstreckten. Die kindliche Neugier an diesem heißen Julitag war einfach riesig. Dann ertönte plötzlich eine Stimme. „Das Eduard-von-Winterstein-Theater begrüßt Sie alle sehr herzlich hier im Felsenheater Greifensteine.“ Endlich ging es los. Die vor mir eben noch tuschelnden Besucher wurden still. 

Einige Reihen vor mir auf der aus Steinen errichteten Bühne tat sich etwas. Rechts aus dem fest gebauten kleinen Haus strömten plötzlich mehrere Personen in Kostümen heraus in Richtung Bühne. Kurz darauf trabte ein schwarzes Pferd über eine schmale helle Holzbrücke am Fuße eines der umliegenden Felsen. Aus ringsum angebrachten Lautsprechern schallte abenteuerlich anmutende Musik quer über den Platz. Ein echtes Spektakel, wenn man gerade einmal neun Jahre alt ist.  

Romantisch überfrachtetes Wildwestpanorama im Erzgebirge

Auf der Freilichtbühne Naturtheater Greifensteine im Erzgebirge kommen immer wieder Wild-West Stücke auf den Spielplan; an diesem Tag waren es Winnetou und Old Shatterhand. Wie auch auf anderen Bühnen Sachsens hat sich eine rege Karl-May-Festspiel-Landschaft etabliert. Und das kommt nicht von ungefähr.

So stammt Karl May, der die Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand erfand, aus dem kleinen sächsischen Ort Hohenstein-Ernstthal im Landkreis Zwickau. Spätestens seit der Debatte um ihn und sein Werk ist dies vielen Menschem bekannt. Öffentlich stritt man politisch hitzig über Winnetou-Verherrlichung und Rassismus-Darstellung nach der Entscheidung durch den ARD, Karl May-Filme aufgrund ausgelaufener Lizenzen künftig nicht mehr zeigen zu wollen. Fast zeitgleich entschied sich auch die Firma Ravensburger „Winnetou“-Kinderbücher nicht mehr in seinem Programm zu führen.  

Das passierte im August 2022. Also fast genau 20 Jahre nach der „Winnetou“-Aufführung im romantisch überfrachteten Wildwestpanorama, die ich als Kind mit meiner Mutter auf der Freilichtbühne anschaute. Genau das Bild, das Karl May in seinen zahlreichen Reiseerzählungen ausschmückend und lebendig gezeichnet hat. Und wie ich es in den zahlreichen Büchern bei meinem Opa vorfand. Zusammen mit meinem Onkel sammelte er die Karl May-Bände, so auch die fünfzehn Bände umfassende „Winnetou und Old Shatterhand“-Reihe. Als Kind fand ich es schön, mit den Fingern von einer Bücherregalseite zur nächsten über die bunten, lederähnlichen Einbände mit goldener, ornamentverzierter Schrift zu fahren. Für mich fühlte es sich so an, als würde ich alle Abenteuer mit nur einer kurzen Bewegung aufsaugen.

Damals erkannte ich nur mit Mühe und Not - und Nachfragen - die teils noch in Sütterlin Schrift gedruckten Titel auf den Einbänden, wie etwa „In den Schluchten des Balkans“ oder „Im fernen Westen“. Ich wusste damals nicht mal, wo der Balkan lag. Karl May vermutlich ebenso wenig, schließlich entsprang die Mehrheit seiner Publikumserfolge seiner reinen Fantasie, ohne eine der beschriebenen Länder zum Zeitpunkt des Schreibens je besucht zu haben - im Grunde also ganz schön großer literarischer Schwindel und fast schon pathologische Lügerei. Als Kind interessierte es mich jedoch nicht, ob er schon mal durch die amerikanische Prärie geritten war.  

In DDR offiziell nicht zensiert, aber doch nicht erlaubt

In der DDR war Karl May sogar eine Zeit lang regelrecht verpönt - zumindest aus Sicht der Kulturfunktionäre, die seit den 50er Jahren begannen, die Bücher Karl Mays nicht mehr zu drucken. Wo kein gedrucktes Buch, da kein Lesestoff. Die nur mangelhafte Begründung des sozialistischen Staates: May sei „rassistisch", „nationalistisch“ und nicht zuletzt „antihumanistisch“. Obendrein auch noch schlecht geschrieben. Erst in den 80er-Jahren wurde Karl May wieder erstausgestrahlt; nun war er plötzlich doch ein Proletariersohn im Sinne des Sozialismus, der aufrecht gegen „die US-amerikanische Raub- und Ausrottungspolitik“ gekämpft habe.

Doch der jahrzehntelange indirekte Verbot des Schriftstellers führte letztendlich zum Gegenteil: eine immense Beliebtheit in weiten Teilen der Bevölkerung. Die ist bis heute im Osten ungebrochen, wie der nach wie vor volle Bücherschrank bei meinem Opa zeigt. Die DEFA-Indianerfilme verzeichneten in der DDR die höchsten Zuschauerzahlen - auch dank der charmanten Besetzung mit dem mittlerweile über 80-jährigen jugoslawischen Schauspieler Gojko Mitić, der als klischeebeladene Kultfigur über die DDR-Fernsehbildschirme mit athletischer Statur und langen schwarzen Haaren huschte. Auch heute ist Karl May mit seinen Büchern über Winnetou in Ostdeutschland eng mit Begriffen wie ewiger Freundschaft, Naturverbundenheit und dem Wunsch nach Freiheit und Frieden verknüpft. Eigentlich sehr schöne Gedanken, wenn man als Kind auf dem Stuhl im Freilufttheater sitzt und mitten im Abenteuer ist. 

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