Friedrich Schorlemmer beim Kirchentag 2017 in Wittenberg
epd-bild/Christina Geisler-Oezlem
Unter dem vielsagenden Titel "Reformation in der Krise - Wider die Selbsttäuschung" haben Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff eine Bilanz der Feiern zu 500 Jahren Reformation gezogen. Sie rufen dazu auf, sich der "Krise der Kirche" zu stellen.
05.09.2017

Knapp zwei Monate vor Abschluss der Feiern zum 500. Reformationsjubiläum ziehen die prominenten Theologen Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff eine kritische Bilanz des Gedenkjahres. Auf dem Weg zum 31. Oktober 2017 sei es versäumt worden, die "Krise der Kirche in der säkularen Gesellschaft offen anzusprechen" und neue Visionen zu entwickeln, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Memorandum "Reformation in der Krise - Wider die Selbsttäuschung". Vor allem die "Kirchentage auf dem Weg" Ende Mai seien "zum Fanal einer grandiosen Selbsttäuschung" geworden, kritisierten der langjährige Leipziger Thomaskirchen-Pfarrer Wolff und Schorlemmer, der als ehemaliger Leiter der Evangelischen Akademie in Wittenberg und Ex-DDR-Bürgerrechtler in das Jubiläumsprogramm in der Lutherstadt eingebunden war.

Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wies die Argumentation der beiden prominenten Protestanten zurück. Die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, hob die positiven Erfahrungen hervor, die bei den regionalen Kirchentagen gemacht worden seien. Der Kirchentag reagierte gelassen auf die Kritik.

"Mammutprogramm übergestülpt"

Schorlemmer und Wolff schreiben, der Kirchentagsapparat habe den acht mitteldeutschen Austragungsstädten ein "Mammutprogramm übergestülpt". Sechs regionale Protestantentreffen hatten Ende Mai aus Anlass des Jubiläums den zentralen evangelischen Kirchentag in Berlin begleitet. Insgesamt kamen zu den dreitägigen Regional-Kirchentagen etwa 50.000 Besucher. Insbesondere die Besucherzahl von 15.000 in Leipzig blieb hinter den Erwartungen zurück.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag erklärte auf Anfrage, Schorlemmer sei seit vielen Jahren geschätzter Gast auf Kirchentagsveranstaltungen: "Wir nehmen die Kritik von ihm und Christian Wolff zur Kenntnis." Von Vertretern aus Gemeinden und Kirchen in den Regionen, in denen Kirchentage auf dem Weg stattfanden, "haben wir vielfach andere und differenzierte Rückmeldungen erhalten", sagte Sprecherin Sirkka Jendis. Die "Kirchentage auf dem Weg" hätten mit viel Engagement vor Ort große Energien freigesetzt.

In dem 16-seitigen Memorandum von Schorlemmer und Wolff, über das zuerst die "Leipziger Volkszeitung" berichtet hatte, heißt es, der Bedeutungsverlust der Kirchen schreite mit wachsender Intensität voran. Kritik üben die Autoren auch an dem 2006 initiierten Reformprozess der EKD. Dieser sei mehr oder weniger im Sande verlaufen: "Was damals 'Leuchtfeuer' entfachen sollte, ist mehr oder weniger erloschen. Feuer kann eben nicht kirchenamtlich 'von Oben' verordnet werden."

Schorlemmer und Wolff beobachten zudem einen "dramatischen Traditionsabbruch" in den Gemeinden vor Ort. Dadurch gingen wesentliche Inhalte des Glaubens verloren und seien kaum mehr abrufbar. "Glaube und Bildung, durch die Reformation miteinander verbunden, fallen heute auseinander", beklagen die Theologen weiter: "Wenn wir dem faktischen biblischen Analphabetismus und dem Traditionsabbruch innerhalb der Kirchen nicht offensiv begegnen, wird sich die Kirche weiter marginalisieren."

Verständnis für Enttäuschung

Der EKD-Sprecher sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Schrift knüpfe an eine Diskussion an, die seit langem intensiv geführt werde. "Dazu haben auch die deutschlandweit vielen tausend Veranstaltungen des Reformationsjubiläums beigetragen, die allesamt Höhepunkte eines Beteiligungsjubiläums waren, das weit über die Kirchentage im Mai hinausgeht", sagte der Sprecher.

Die mitteldeutsche Landesbischöfin Junkermann räumte ein, mit Blick auf rein zahlenorientierte Erwartungen könne sie die Enttäuschung verstehen. Dass aber beispielsweise bei den "Kirchentagen auf dem Weg" sehr viele Menschen an offenen und gastfreundlich gedeckten Tischen miteinander sehr intensiv über Glaubens- und Alltagsfragen ins Gespräch gekommen seien, stimme sie hoffnungsvoll. Zwar hätten viele groß geplante Diskussionsformate oft nur eine kleinere Gruppen von Menschen angezogen, aber diese hätten gerade das intensive Gespräch auf Augenhöhe besonders geschätzt.

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Ich kann die Kritik von Friedrich Schorlemmer und Christian Wolff gut nachvollziehen. Man darf sie nur nicht so verstehen, dass sie evangelikal gemeint ist. Ich meine, dass auch in einem schwachen säkularen Glauben das christliche Bekenntnis artikuliert wird. Das Christentum wird im Alltag gelebt und vollzogen. Dabei muss nicht jede Tat oder Einstellung explizit mit einem Bibelwort begründet werden. Wenn die Kirche diesen gelebten Glauben propagieren würde, käme es gar nicht zu dem Eindruck des Versagens. Stattdessen wird die Kirche an der Teilnehmerzahl der Veranstaltungen gemessen. Wo die Zahlen hinter der Erwartung zurück bleiben, kommt dann Frust auf. Das ist ein hausgemachtes Problem.

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