03.05.2021

Liebe Leserin, lieber Leser,

schneller, höher, weiter! - Auf diesem Prinzip basiert unsere freie Marktwirtschaft. Sie hat uns Frieden und Wohlstand gebracht. Die Lebenserwartung steigt ebenso wie die Einkommen. Gleichzeitig hat das permanente Wirtschaftswachstum dazu geführt, dass sich unser Planet immer weiter aufheizt. Sollten wir das mit dem endlosen Wachsen also nicht lieber mal sein lassen? Wird es Zeit für eine Postwachstumsära?

"Wenn wir nicht mehr wachsen, würden wir alle Aufstiegschancen auf der Welt einfrieren", sagt Sarna Röser, Vorsitzende des Verbands Junge Unternehmer, in einem Doppelinterview mit dem Astrophysiker Harald Lesch. Er sieht das kritisch: "Umweltschutz bedeutet aber vor allem Verzicht. Der wird in der Energie­debatte nie angesprochen, weil das dem Wachstumsbegriff widerspricht."

Klar ist, dass die Ressourcen auf unserem Planeten endlich sind und unser wachsender Energieverbrauch stark zum Klimawandel beiträgt. Der Schuldige ist scheinbar schnell ausgemacht: der Kapitalismus. "Nur wäre die Lage besser, wenn die Welt sozialistisch wäre?", fragt Wirtschaftsjournalist Nikolaus Piper in einem aktuellen Standpunkt. Er sagt: "Im Gegensatz zum Sozialismus sind kapitalistische Gesellschaften lernfähig."

Aber wie lernfähig sind wir tatsächlich? Viele Menschen haben gehofft, dass die Corona-Krise zu einem Umdenken führen könnte, was unseren Verbrauch anbelangt. Lou Töllner von Fridays for Future und Kabarettist Sebastian Pufpaff zweifeln daran.

Gibt es dann überhaupt etwas, das uns aus der Klimakrise retten kann? Einige setzen auf eine Renaissance der Atomkraft, um unseren Energiehunger "sauber" zu stillen. Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch, sagt der Volkswirt Benjamin Held im Interview. Was bleibt, kann nur eine Mischung aus technischer Innovation, politischen Maßnahmen und Umdenken sein. 

"Der Klimawandel zeigt, dass das Wachstum an Wohlstand seine ­eigenen Grundlagen untergräbt. In Zukunft wird man auf manche liebgewordenen Gewohnheiten und Anblicke – von der Autofahrt über windräderfreie Landschaften bis zum Fleischverzehr – verzichten müssen", schrieb der Soziologe Andreas Reckwitz 2019 in einem Essay für chrismon.

Während der entbehrungsreichen Corona-Krise über Verzicht nachzudenken, mag vielen wie Hohn klingen. Andererseits hat uns gerade das vergangene Jahr vielleicht so deutlich wie nie zuvor gezeigt, was wir wirklich brauchen: soziale Kontakte, Bewegungsfreiheit und Gesundheit. Vielleicht hilft es schon, sich vor dem Kauf einer neuen Hose, dem Zwei-Euro-Steak im Discounter oder einer günstigen Flugreise die simple Frage zu stellen: Brauche ich das gerade wirklich?

Nachdenkliche Grüße

Michael Güthlein

chrismon-Redaktion

PS: Heute ist Tag der Pressefreiheit. Die Pressefreiheit und andere Menschenrechte sind in diesen Corona-Zeiten bedroht wie lange nicht. Morgen können Sie an einer Diskussion teilnehmen: Brot für die Welt stellt von 16:00 bis 17:30 Uhr den 4. Atlas der Zivilgesellschaft 2021 vor. Unter diesem Link können Sie sich registrieren. Wir werden auf chrismon.de auch darüber berichten.