20.05.2019

Liebe Leserin und lieber Leser,

70 Jahre Grundgesetz - ist das ein Grund zum Feiern? Ich finde: Auf jeden Fall! Es waren mutige Männer und Frauen, die diesen stabilen, umfangreichen und krisensicheren Gesetzeskatalog damals in unglaublich kurzer Zeit ausgearbeitet hatten. Ihnen gebührt Dank und Anerkennung.

So großartig das Grundgesetz mit seinen unabänderlichen Menschenrechten wie "Die Würde des Menschen ist unantastbar" oder "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" auch ist, perfekt ist es deshalb noch lange nicht. Genauso wenig wie die Verfassungen und Gesetze anderer demokratischer Staaten, in den USA, England oder Frankreich. Der indische Menschenrechtsanwalt Colin Gonsalves fordert von den westlichen Demokratien mehr Grundrechte auch für Arme - zum Beispiel vor Gericht. Das indische Recht etwa erlaubt "Klagen im Namen der Allgemeinheit", und so erklagte Gonsalves 2001 vor dem Obersten Gerichtshof Indiens kostenlose Schulspeisung für arme Kinder, Ergänzungsnahrung für Schwangere und subventioniertes Saatgut für Bauern mit wenig eigenem Land.

Deutschland kennt so ein Recht nicht. Hier dominiere das Recht des Einzelnen über das Recht für viele, kritisiert Gonsalves und fordert die westlichen Demokratien auf: "Guckt über den Tellerrand." Auch in den sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern gebe es gute Verfassungen und juristische Instrumente, an denen wir uns ein Beispiel nehmen sollten. Ich glaube, er hat recht.

Interessiert habe ich daher das Interview meiner Kollegin Christine Holch mit der Frauenrechtlerin Ines Kappert von der Heinrich-Böll-Stiftung gelesen. Außenminister Heiko Maas, so lernte ich dort, hat zwar gerade dazu beigetragen, dass die UN ein neues Gesetz erlassen hat: zum Schutz von Frauen und Mädchen, die sexualisierte Kriegsgewalt erlitten haben. Ein gutes, ein fortschrittliches Gesetz, möchte man denken, aber es ist auch ein Gesetz mit großen Fehlern - unter anderem deshalb, weil die USA verlangten, das Recht auf "repro­duktive Gesundheit" zu streichen. Das Fazit von Ines Kappert: "De facto haben wir jetzt eine völkerrechtliche Vereinbarung, die sagt: Selbst nach Vergewaltigung haben die Frauen kein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch." Das ist leider kein gutes Ergebnis; und es ist eben auch kein Grund, besonders stolz auf das eigene Verhandlungsgeschick zu sein.

Ich wünsche Ihnen eine wache Woche, in der wir, unabhängig von berechtigter Kritik, mit viel Freude das Grundgesetz feiern können.

Dorothea Heintze
Redaktion chrismon

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Einsendeschluss ist Sonntag, der 26. Mai. Die Gewinner benachrichtigen wir per E-Mail. Mitarbeiter des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik gGmbH und angeschlossener Verlagshäuser sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.