12.08.2019

Liebe Leserinnen und Leser,

eigentlich dachte ich, dass jene Ärztinnen und Heilpraktiker, die Homöopathie anbieten, gelassene und freundliche Menschen sind. Aber was uns derzeit aus diesem Kreis an Leserbriefen und Onlinekommentaren erreicht ­– oh, là, là! So viel Aggression!

Wir hatten in der Rubrik "Begegnung" zwei Menschen miteinander sprechen lassen, deren Lebensweg uns interessierte: Die eine, die Ärztin Natalie Grams, hat sich komplett von der Homöopathie abgewandt, der andere, Prof. Sven Gottschling, war früher krass schulmedizinisch drauf und wendet sich nun der Akupunktur zu. Okay, beide sind keine Fans von Globuli. Aber wir würden auch keinen Klimawandelleugner zum Gespräch einladen, nur um irgendwie "ausgewogen" zu erscheinen.

Wir dachten: Die Homöopathie ist 200 Jahre alt, da kann man doch so ein bisschen Kritik vertragen. Nichts da: Man droht mit Kirchenaustritt, fordert vom EKD-Ratsvorsitzenden die sofortige Distanzierung von diesem Text, man beleidigt die beiden Gesprächsteilnehmer persönlich, und man unterstellt chrismon, für diese "Begegnung" Geld von der Pharmaindustrie eingesackt zu haben. Geht's noch? Selbstverständlich halten wir uns an den Pressekodex des Deutschen Presserats, auch an Ziffer 7.

Ich beantworte fast jede Leserzuschrift. Fast alle kommen übrigens von homöopathisch Arbeitenden, nicht von Patienten und Patientinnen. Manchmal schreiben sie mir dann erneut. So wie jetzt ein Homöopathiearzt; er hat sich die Mühe gemacht, meiner Unwissenheit abzuhelfen, und hat wörtlich aus den Resümees wichtiger Überblicksstudien zitiert. Seiner Meinung nach: alles PRO Homöopathie. Das Komische ist aber: Die Studien und seine Zitate sagen genau das Gegenteil.

Vielleicht zur Erinnerung: In der kritisierten "Begegnung" sagt niemand, man solle die Homöopathie verbieten. Wenn manche sich damit gut versorgt fühlen – fein. (Worauf auch immer die verspürte Heilung am Ende beruht.) Aber man wird doch mal öffentlich nachdenken dürfen über so etwas Faszinierendes wie den Placeboeffekt. Ziemlich oft funktionieren nämlich auch schulmedizinische Behandlungen nur über die Vorstellung, dass sie wirken. Oder sie bewirken gar nichts, außer Nebenwirkungen. Mit sorgfältig angelegten Studien kommt man dem immer öfter auf die Spur. Arthroskopien bei Kniearthrose werden deshalb von den Kassen nun nicht mehr gezahlt; auch die in Deutschland unerklärlich vielen Gebärmutterentfernungen sind in den Fokus geraten (gesünder und langlebiger als ihre europäischen Nachbarinnen werden deutsche Frauen durch diese OP nämlich nicht).

Kurzum: Als hilfesuchende Patientin darf man natürlich vieles ausprobieren, wenn man möchte. Aber dass Krankenkassen für Homöopathie bezahlen trotz fehlendem Wirksamkeitsnachweis, ist ein Unding – und sozial ungerecht. Denn ein Großteil der Homöopathiepatienten sind finanziell gut gestellte Leute, die können das selbst bezahlen. Gerecht fände ich dagegen, wenn Krankenkassen Brillen bezahlen würden. Die wirken nämlich tatsächlich. Und jemand mit kleinem Einkommen ist schlichtweg überfordert von den Kosten für Gleitsichtgläser.

Übrigens: Nirgendwo ging es in der "Begegnung" um Naturheilkunde, etwa Pflanzenmedizin.

Bleiben Sie gesund. Zumindest fröhlich!

Christine Holch
Chefreporterin