Tübingen (epd). Die Medienethikerin Jessica Heesen hat davor gewarnt, die Corona-Tracing-App als "Zauberkasten" und "Allheilmittel" zur Eindämmung des Virus zu sehen. "Wir neigen dazu zu denken, mit einer App hätten wir die Krise im Griff, sie würde berechenbar und erfassbar", sagte die Wissenschaftlerin vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Bedeutung der App werde regelrecht "mystifiziert": Das, was man bisher nicht wahrnehmen könne - nämlich, wer das Virus in sich trägt -, solle mit der neuen Technologie erfahrbar gemacht werden. Die Wirksamkeit der App sei jedoch noch nicht bewiesen, und sie könne nur ein Baustein sein, nur ein Instrument unter vielen. "Sie ist nicht die Rettung, sie ist nicht die Lösung aller Herausforderungen in der Corona-Krise", betonte Heesen.
Derzeit sitzt ein internationales Team aus Wissenschaftlern, IT-Fachleuten und einzelnen Unternehmen unter der Federführung des Fraunhofer Instituts für Nachrichtentechnik an der Entwicklung der PEPP-PT (Pan European Privacy Protecting Proximity Tracing) -Technologie, die genutzt werden könnte, um eine Tracing-App zu konfigurieren. Die App funktioniert mit Bluetooth und kann zur Nachverfolgung von potenziellen Corona-Kontakten genutzt werden. Mit der App könnte die schnelle Ausbreitung des Coronavirus gebremst werden. Sie wird voraussichtlich zum Einsatz kommen, wenn die aktuellen Beschränkungen des öffentlichen Lebens gelockert werden.
Nutzung müsse freiwillig bleiben
Gerade weil die Wirksamkeit der App noch unklar sei, müsse die Nutzung freiwillig bleiben, betonte Heesen. Dennoch sei ein "App-Shaming" zu erwarten, befürchtet Heesen. "Es wird fast unmöglich sein, die App nicht herunterzuladen und sich nicht dem sozialen Druck zu beugen." Menschen, die die App nicht herunterladen wollen oder können, dürfe bei Krankenkassen oder beim Arzt kein Nachteil entstehen. "Gerade ältere Menschen dürfen sich da nicht unter Druck setzen lassen."
Damit die App ein Erfolg im Kampf gegen Corona sein kann, müssten zudem mindestens 60 Prozent der Bevölkerung die Anwendung installiert haben, betonte Heesen. Umfragen zufolge hätten 80 Prozent der Deutschen ein Smartphone. "Doch nutzen diese Menschen das Smartphone auch aktiv oder liegt es nur in der Schublade? Gerade die Gruppe, die mitunter am gefährdetsten ist - alte und kranke Menschen - haben entweder gar kein Smartphone oder haben es wenig oder gar nicht in Betrieb", sagte Heesen. Zudem müsse man wissen, wie man die App installiere und wie sie funktioniere. Dazu sei viel Kompetenz und noch viel Aufklärung nötig.
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