Die Göttinger Ethikprofessorin Claudia Wiesemann (Archivbild)
epd-bild/Deutscher Ethikrat
Transidente Menschen müssten über ihre persönliche Identität unbedingt selbst entscheiden, sagt die Medizinethikerin Claudia Wiesemann im Gespräch mit dem epd. Ab welchem Alter ein Mensch dazu in der Lage sei, sei individuell sehr verschieden.
24.02.2020

Der medizinische Umgang mit Transidentität bei Minderjährigen ist für die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Claudia Wiesemann ein ethisch hochproblematisches und entsprechend umstrittenes Thema. "Transidentität ist natürlich keine Krankheit, der gesellschaftliche Umgang mit ihr kann aber sehr krank machen", sagte die Göttinger Medizinethikerin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kinder, deren Geburtsgeschlecht sich vom erlebten Geschlecht unterscheidet, seien im besonderen Maß auf das Gesundheitssystem angewiesen.

"Hochgradig schwierig an dem Thema ist, dass Entscheidungen zum Wohle des Kindes sowohl für das Hier und Jetzt als auch für die Zukunft bewertet werden müssen", sagte die Professorin, die an einer Überarbeitung der therapeutischen Leitlinien zum Umgang mit Geschlechtsidentität mitwirkt. "Und bei der Gabe gegengeschlechtlicher Hormone und Operationen reden wir von gravierenden Eingriffen, die sich zum Teil nicht mehr rückgängig machen lassen."

"Gemeinsame Reflexionszeit" sinnvoll

Über ihre persönliche Identität müssten Betroffenen unbedingt selbst entscheiden. "Aber ab welchem Alter ist ein Mensch entscheidungsfähig?" Eine pauschale Antwort darauf gebe es nicht: "Sicherlich vor dem 18. Geburtstag, Reife ist aber individuell sehr verschieden." Therapeutisches Ziel müsse es daher sein, Jugendliche in die Lage zu versetzen, für sich entscheiden zu können - und nicht stellvertretend für sie über richtig und falsch zu bestimmen. Erwachsene trügen aber weiterhin die Verantwortung für das Kindeswohl.

Wiesemann hält deshalb eine "gemeinsame Reflexionszeit" für sinnvoll. In dieser könnten auch Hormonblocker eingesetzt werden, die die Pubertät anhalten - und so die Bedenkzeit verlängern. Aber auch diese Entscheidung müsse begleitet werden. "Bei den Gleichaltrigen ist die Pubertät ja im Gange, es gibt also auch soziale Nebenwirkungen."

Auch andere Ursachen für Identitätskrisen wie etwa sexueller Missbrauch müssten in dieser Zeit mitgedacht werden. "Jugendliche im für sie falschen Geschlecht haben ein stark erhöhtes Risiko für Depressionen, Selbstverletzung und Suizid", sagte die Medizinethikerin. "Aber auch eine falsche Entscheidung erzeugt Leid."

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