Vor zehn Jahren hat der Missbrauchs-Skandal im kirchlichen Raum seinen Lauf genommen. Jetzt ermahnte der Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beide Kirchen, gegenüber den Betroffenen schnell zu Entscheidungen zu gelangen.
14.01.2020

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat die beiden großen christlichen Kirchen ermahnt, gegenüber Betroffenen schnell zu Entscheidungen zu gelangen. Zehn Jahre nach dem Bekanntwerden zahlreicher Fälle sexueller Gewalt an Kindern durch Kleriker der katholischen Kirche und auch nach dem Bekanntwerden von Fällen in der evangelischen Kirche sei es nun wichtig, dass Strukturen für die Aufarbeitung geschaffen und Betroffene mit starken Rechten ausgestattet würden, sagte Rörig am Dienstag im WDR5-"Morgenecho". Zudem müsse die Frage von Entschädigungen geregelt werden.

Rörig würdigte, dass beide Kirchen bemüht seien, alles zu tun, um künftig sexuellen Missbrauch im kirchlichen Raum zu verhindern. Auch hätten beide Kirchen verstanden, dass ohne Betroffenenbeteiligung eine Aufarbeitung der "scheußlichen Verbrechen" nicht funktioniere und Vertrauen und Glaubwürdigkeit nicht zurückgewonnen werden könnten.

"Aber beide Kirchen, das muss ich sagen, haben das Ziel einer umfassenden Aufarbeitung, einer umfassenden Aufklärung, lange noch nicht erreicht", betonte Rörig. Zudem gebe es immer noch Widerstände und Vertreter in der Kirche, die "den Mantel des Schweigens immer noch nicht in den Mülleimer der Geschichte geworfen haben".

Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit Entschädigungen

Der unabhängige Beauftragte für Missbrauchsfragen verwies darauf, dass eine Arbeitsgruppe der katholischen Kirche Vorschläge zu Entschädigungshöhen unterbreitet habe. Damit werde sich der ständige Rat der Bischöfe Ende des Monats beschäftigen: "Und dann müssen die Bischöfe Farbe bekennen." Diesen innerkirchlichen Klärungsprozess wolle er abwarten und sich dann dazu äußern, kündigte Rörig an.

Zehn Jahre nach Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg lobte der damalige Schulrektor, Jesuiten-Pater Klaus Mertes, Fortschritte in Sachen Prävention. Insgesamt habe sich in dem Bereich unglaublich viel getan, auch an katholischen Schulen, sagte Mertes am Dienstag im RBB.

Auch bei den Beschwerdeverfahren sei großer Fortschritt erreicht worden, sagte Mertes, der heute das Kolleg St. Blasien in Baden-Württemberg leitet. Im Rückblick auf die zehn Jahre sagte Mertes, sein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche sei nicht erschüttert, "allerdings zur gegenwärtigen Kirchenstruktur". So werde bis heute gegen ihn von leitenden Kirchenpersönlichkeiten agiert.

Betroffene werfen Bischofskonferenz Verzögerung vor

Die Betroffeninitiative "Eckiger Tisch" warf der katholischen Kirche derweil Verzögerungstaktik vor. "Sie hat, so muss man es leider sagen, verschleppt so lange es ging", sagte der Sprecher des Betroffenenvereins, Matthias Katsch, am Dienstag im RBB-Inforadio. Erst jetzt sei ein Punkt erreicht, wo tatsächlich konkrete Aufarbeitung erfolgen solle und über Entschädigung gesprochen werde. Dennoch fingen Teile der Kirche bereits wieder an, Widerstände zu organisieren.

Vor zehn Jahren, am 14. Januar 2010, vertrauten sich drei ehemalige Schüler am Berliner Canisius-Kolleg dem damaligen Schulleiter, Pater Mertes, an. Sie erzählten ihm, dass sie in den 70er und 80er Jahren an der Schule sexuell missbraucht wurden. Katsch war einer der drei Schüler. Er ist auch Gründer der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch". Mertes reagierte mit einem Brief an etwa 600 ehemalige Schüler, in dem er unter anderem um Entschuldigung für möglichen Missbrauch durch Lehrer an der Eliteschule bat. Damit setze er eine bundesweite Debatte über Missbrauch an Bildungseinrichtungen in Gang. In der katholischen wie der evangelischen Kirche wird derzeit über ein Verfahren zur Entschädigung der Opfer diskutiert.

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