Odachloser in Berlin (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zöllner
Trotz positiver Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bleiben viele Menschen in Industrieländern von Armut bedroht. Defizite beklagt eine Studie auch bei der Generationengerechtigkeit und beim Klimaschutz. Beste Teilhabechancen bieten nordische Länder.
05.12.2019

Das Armutsrisiko hat sich in vielen Industrieländern trotz besserer Wirtschaftsdaten nicht verringert. Rund zehn Jahre nach Ausbruch der globalen Finanzkrise liege die durchschnittliche Arbeitslosenquote in 41 untersuchten EU- und OECD-Ländern mit 5,3 Prozent zwar erstmals leicht unterhalb des Vorkrisenniveaus von 2008, erklärte die Bertelsmann Stiftung am Donnerstag in Gütersloh. In 25 Staaten stagniere jedoch das Armutsrisiko oder sei sogar gestiegen. In der Studie der Stiftung über soziale Gerechtigkeit wurden die Teilhabechancen in 41 Industriestaaten untersucht.

Am häufigsten von Armut bedroht sind der Studie zufolge Menschen in Israel und in den USA. Kinder haben in der Regel ein höheres Armutsrisiko als ältere Menschen. Als armutsgefährdet stuft die Stiftung Menschen ein, die über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen mittleren Einkommens verfügen. In Deutschland liege die Armutsgrenze bei weniger als 950 Euro pro Person im Monat, erklärte der Mitautor und Arbeitsmarktexperte der Stiftung, Thorsten Hellmann.

Gute Arbeitsmarktlage in Deutschland

Die besten Teilhabechancen gibt es in den nordischen Ländern Island, Norwegen, Dänemark und Finnland. Deutschland belegt den zehnten Platz. Zu den Schlusslichtern zählten die USA auf Platz 36 vor Chile, Bulgarien, Rumänien, der Türkei und Mexiko, heißt es in der Studie.

Die gute Platzierung Deutschlands im Gesamtranking beruhe vor allem auf der anhaltenden Erfolgskurve am Arbeitsmarkt, erklärte die Bertelsmann Stiftung. Neben der stetig sinkenden Arbeitslosenquote gehöre die Jugendarbeitslosigkeit mit 6,2 Prozent im internationalen Vergleich zu den niedrigsten. Während die Beschäftigungsrate zwischen 2013 und 2018 von 73,5 auf 75,9 Prozent gestiegen sei, habe sich das Armutsrisiko im selben Zeitraum jedoch von 9,4 auf 9,8 Prozent erhöht. Das Armutsrisiko gibt an, wie hoch der Anteil armutsgefährdeter Menschen an der Gesamtbevölkerung ist.

Zunehmende Kluft zwischen Jung und Alt

Anders als in der Mehrzahl der Länder sei das Armutsrisiko in Deutschland für ältere Menschen mit 9,7 Prozent auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren, hieß es weiter. Kinder und Jugendliche haben ein Armutsrisiko von 7,6 Prozent.

Mit Sorge sehen die Autoren der Studie auch eine zunehmende Kluft zwischen Jung und Alt. Kinder und Jugendliche sind der Studie zufolge in 27 der untersuchten Staaten häufiger von Armut bedroht als die über 65-Jährigen. Allerdings sei auch Altersarmut weiterhin in vielen EU- und OECD-Staaten ein weit verbreitetes Problem.

Bumerang für Politik und Wirtschaft

Zusätzlich kritisieren die Autoren eine zu zaghafte Klima- und Umweltpolitik. Lediglich drei der 41 EU- und OECD-Länder deckten ihren Energiebedarf zu mehr als 50 Prozent aus erneuerbaren Energien, erklärte Hellmann. Deutschland habe im vergangenen Jahr seine Nutzung erneuerbarer Energien zwar auf einen Anteil von rund 14 Prozent ausgebaut, liege im Ländervergleich jedoch nur auf Rang 24. Auch die hohen Treibhausgasemissionen von rund elf Tonnen pro Kopf (Rang 30) zeigten, dass Deutschland beim Klimaschutz hinterherhinke.

Wenn der Aufschwung am Arbeitsmarkt nicht mit einem sinkenden Armutsrisiko einhergehe, könne das zu einem Bumerang für Politik und Wirtschaft werden, warnte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart De Geus. Auch bei der Generationengerechtigkeit müssten die EU- und OECD-Staaten ansetzen, um die Teilhabechancen aller dauerhaft zu verbessern.

Mit dem "sozialen Gerechtigkeitsindex" (Social Justice Index) untersucht die Stiftung anhand von 46 Kriterien die Teilhabechancen in den 41 Staaten der EU- und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Zu den Themenfeldern gehören unter anderen Armut, Bildung, Generationengerechtigkeit und soziale Inklusion. In die aktuelle Studie flossen den Angaben zufolge international verfügbare Daten bis Ende Oktober 2019 ein.

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