Fahnen der Frankfurter Buchmesse (Archivbild)
epd-bild/Heike Lyding
Ab Mittwoch strömen Zehntausende auf die Frankfurter Buchmesse. Beim Auftakt am Dienstag stand die Gefährdung der Meinungsfreiheit im Mittelpunkt. Besondere Aufmerksamkeit galt dem Auftritt der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
15.10.2019

Die frisch gekürte Literaturnobelpreisträgerin 2018, Olga Tokarczuk, beklagt "eine Art Kulturkrieg" in ihrem Heimatland Polen. "Mich beunruhigen Versuche der Regierung, die Kontrolle über Museen und Theater zu erlangen", sagte sie am Dienstag zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse. Schriftsteller könnten in Polen gut arbeiten, "aber ich stelle mit gewisser Angst fest, dass manche Selbstzensur üben". Spitzenvertreter der internationalen Buchmesse plädierten vor der Eröffnung am Abend für Meinungsfreiheit in allen Teilen der Welt.

Schriftsteller stünden angesichts einer sich rasend verändernden Welt vor riesigen Herausforderungen, sagte Tokarczuk: "Ist es überhaupt möglich, die Welt noch zu beschreiben?" Sie glaube aber an die Literatur, die Menschen trotz all ihrer Unterschiede verbinde, sagte die 57-Jährige. "Literatur macht deutlich, dass wir auf einer unsichtbaren Ebene durch Fäden verbunden sind."

Unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung des Nobelkomitees am vergangenen Donnerstag habe sie auf ihrer Lesereise in Bielefeld eine Menschenmenge empfangen. "Ich wurde unerwartet wahnsinnig herzlich begrüßt", sagte Tokarczuk. Sie fühle sich an die begeisterte Aufnahme der glücklosen polnischen Revolutionäre 1831 in Deutschland erinnert. Über den Ausgang der Parlamentswahl in Polen, die am Sonntag die nationalkonservative PiS gewonnen hatte, äußerte sich Tokarczuk "nicht begeistert". Aber sie hoffe auf Anstöße durch die neu ins Parlament eingezogenen Abgeordneten der Linken und Grünen, sagte sie.

Protest-Veranstaltung mit einem "Meer an Regenschirmen"

Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, beklagte eine zunehmende Bedrohung von Menschen- und Freiheitsrechten weltweit. So könnten türkische Medienschaffende im Exil nicht mehr frei in Europa reisen, weil die Türkei ihre Auslieferung beantragt habe, sagte er. Chinesische Behörden hätten den schwedischen Verleger Gui Minhai verschleppt, und niemand wisse um sein Schicksal.

Antidemokratische, rechtsextreme und antisemitische Strömungen nähmen zu, sagte Riethmüller und wies auf die am Donnerstag geplante Protest-Veranstaltung mit einem "Meer an Regenschirmen" hin. Die gemeinsame Mahnwache von Buchmesse, PEN-Zentrum Deutschland, Amnesty International und "Reporter ohne Grenzen" ist als Solidaritätsaktion für Hongkong gedacht.

Der Generaldirektor der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo), Francis Gurry, führte eine in vielen Ländern spürbare Einschränkung von Freiheit auch auf den schnellen technologischen und gesellschaftlichen Wandel zurück. Gesellschaftliche Institutionen könnten mit ihm nicht Schritt halten. Menschen wendeten sich deshalb reaktionären Werten zu. "Niemals vorher gab es so viel internationale Verbindungen, aber die Welt ent-bindet sich (is deconnecting)", sagte er. Der Multilateralismus sei unter Feuer, dabei sei es "eine unmögliche Idee, internationale Kooperation zurückzuweisen".

Bücher machten die Welt verständlich

Gerade wegen des raschen Wandels seien Verlage und Bibliotheken notwendiger denn je, sagte der Direktor der Buchmesse, Juergen Boos. Bücher erklärten, ordneten ein und machten die Welt verständlich. "Wir brauchen Bücher mehr denn je", sagte er. Die Verlage würden in Zukunft vielfältigere Angebote herausbringen, stärker den Austausch mit den Lesern suchen und nachhaltig produzieren. Die deutsche Buchbranche sei aktuell im Aufwand, ergänzte Riethmüller. Nach einer Umsatzsteigerung von fünf Prozent im vergangenen Jahr sei der Umsatz dieses Jahr von Januar bis September weiter um 2,5 Prozent gewachsen.

Von diesem Mittwoch bis Sonntag zeigen auf der weltweit "größten Fachmesse für das internationale Publishing" nach Angaben der Buchmesse 7.450 Aussteller aus 104 Ländern ihre Bücher und Publikationen. Die Zahl der Aussteller ist gegenüber dem Vorjahr um rund 150 gestiegen. Erwartet werden rund 285.000 Besucher. Am Samstag und Sonntag öffnet die Buchmesse traditionell ihre Pforten für das leseinteressierte Publikum.

Die Buchmesse bietet zahlreiche Schriftsteller "zum Anfassen", darunter die Literaturnobelpreisträgerin Margaret Atwood, Ken Follett, Jo Nesbø, Maja Lunde, Jostein Gaarder, Colson Whitehead, Rafik Schami und Peter Wohlleben. Auch die "Fridays for Future"-Aktivistin und Buchautorin Luisa Neubauer, der Blogger Sascha Lobo und der Instagram-Autor James Trevino treten auf.

Zur Eröffnungsfeier am frühen Dienstagabend wurden unter anderen Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg und Kronprinzessin Mette Marit erwartet. Zu den Rednern gehören auch die norwegischen Autoren Karl Ove Knausgård und Erika Fatland. Norwegen ist in diesem Jahr Ehrengast der Buchmesse.

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