Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Archivbild)
epd-bild/Andreas Fischer
Mit einer Gesprächsreihe will der Bundespräsident Ost und West in Dialog bringen. Um Erwartungen und Enttäuschungen ging es am Montag in einem Gespräch mit zwei Autorinnen aus beiden Landesteilen. Unter Enttäuschung verbuchen sie das Begrüßungsgeld.
16.09.2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Westdeutschen dazu aufgefordert, die Erfahrungen der ostdeutschen Landsleute stärker als Bestandteil der gesamtdeutschen Gesellschaft zu begreifen. Viele Ostdeutsche fühlten sich bis heute nicht gehört, "geschweige denn verstanden", sagte Steinmeier am Montag in Berlin. In seiner Reihe "Geteilte Geschichte(n)" sprachen zwei Autorinnen über Erwartungen und Enttäuschungen der Wiedervereinigung. Die Schriftstellerin Jana Hensel kritisierte dabei eine zu stark westdeutsch geprägte Erinnerungskultur.

Die Geschichten der Ostdeutschen seien kein selbstverständlicher Bestandteil eines gemeinsamen "Wir" geworden, sagte Steinmeier. 30 Jahre nach dem Mauerfall sei es höchste Zeit, "dass sich das ändert".

Erinnerungskultur zu westdeutsch

Die aus Leipzig stammende Autorin Hensel ("Zonenkinder") sagte, viele Ostdeutsche fänden sich in den Erinnerungsritualen nicht wieder. Im vergangenen Jahr forderte sie eine Abschaffung des 3. Oktober als Feiertag. Sie habe sich zuvor das Festprogramm in Berlin angeschaut und festgestellt, dass von 15 Bands, die am Brandenburger Tor auftraten, keine einzige ostdeutsche gewesen sei, erklärte sie am Montag im Schloss Bellevue. "Über solche Versehen kann ich nicht mehr lachen", sagte sie. Die Erinnerungskultur sei zu sehr westdeutsch geprägt.

Steinmeier sagte, die Härten des Umbruchs hätten im Osten jede einzelne Familie getroffen, und diese Erfahrung präge auch die Sichtweise der nachfolgenden Generationen. Hensel berichtete von einem Gespräch mit Schülern in Leipzig. Deren Eltern, die letzte in der DDR aufgewachsene Generation, sprächen beim Abendessen mit den Kindern über die Erfahrungen. Das Interesse sei groß und die Auseinandersetzung mit der Geschichte längst nicht abgeschlossen, sagte sie.

Autorin Hensel für eine Ost-Quote

Die aus Köln stammende Dokumentarfilmerin Regina Schilling widersprach Hensel bei der Forderung nach Abschaffung des Feiertags. Es sei gut, wenn es diese Formen zum Gedenken gibt, sagte sie. Einigkeit herrschte zwischen den beiden Autorinnen beim Blick auf Fehler nach der Wiedervereinigung. Schilling sagte, sie habe es schnell als unangenehm empfunden und sich geschämt, wie Westdeutsche schnell viel Geld im Osten haben machen wollen. Mit dem Anstellen nach Begrüßungsgeld habe man die Menschen reduziert, sagte Schilling. Hensel sagte, auch wenn es so nicht gemeint gewesen sei, "die Begrüßungsgeldabholerei gehört zu den demütigendsten Erfahrungen meines Lebens".

Hensel beklagte auch einen Mangel von Ostdeutschen in Führungspositionen in ganz Deutschland, insbesondere aber im Osten selbst. 80 Prozent der Bevölkerung dort komme aus dem Osten, Ostdeutsche bildeten aber nur zwei Prozent der Elite ab. Sie plädierte für eine Ost-Quote und mahnte insgesamt Verbesserungen im Zusammenhalt von Ost- und Westdeutschen an. Wenn sich nichts ändere und auch zum 30. Jahrestag des Mauerfalls "wieder nur gesprochen" werde, bestehe die Gefahr, das sich ländliche Räume in Sachsen noch weiter radikalisierten, sagte Hensel.

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