Steine des Anstoßes: das Relief an der Stadtkirche.
epd-bild/Jens Schlüter
Eine 700 Jahre alte, judenfeindliche Spottplastik an der Stadtkirche Wittenberg stellt nach Auffassung des Landgerichts Dessau-Roßlau keine Beleidigung dar. Sie kann bleiben - vorerst: Der jüdische Kläger kann noch in Berufung gehen.
24.05.2019

Das "Judensau"-Relief darf vorerst an der Fassade der Stadtkirche Wittenberg hängen bleiben. Das Vorhandensein der rund 700 Jahre alten Spottplastik könne nicht als Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung gegenüber Juden in Deutschland verstanden werden, urteilte das Landgericht Dessau-Roßlau am Freitag. Gegen das Urteil kann innerhalb von vier Wochen nach der schriftlichen Zustellung Berufung eingelegt werden.

Richter Wolfram Pechtold erklärte, es bestehe kein Beseitigungsanspruch seitens des jüdischen Klägers. Auch liege keine von der evangelischen Stadtkirchengemeinde ausgehende Beleidigung im Sinne des Paragrafen 185 im Strafgesetzbuch vor. Das mittelalterliche Relief sei Teil eines historischen Baudenkmals, erklärte das Gericht. Die Gemeinde habe es weder hergestellt noch aufgehängt. Vertreter der Prozessbeteiligten waren nicht zu der Urteilsverkündung erschienen.

"Sehr menschliche und religiöse Gefühle"

Der Vorsitzende des Gemeindekirchenrats der Stadtkirchengemeinde, Jörg Bielig, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Wittenberg, er sei froh über die Feststellung des Gerichts, dass die Plastik keine Beleidigung darstelle. Er wolle jedoch betonen, dass es in diesem Prozess "keinen Sieger und keinen Verlierer gibt", sagte Bielig. Der Gemeindekirchenrat habe immer erklärt, "dass wir Verständnis für das Anliegen des Klägers haben", fügte er hinzu. Schließlich handele es sich hier um "sehr menschliche und religiöse Gefühle". Sollte der Kläger gegen das Urteil Berufung einlegen, "müssen wir uns dem stellen", erklärte Bielig.

Kläger Michael Düllmann ist Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin. Er sieht sich durch die Plastik in seiner Ehre verletzt. Beim einzigen Verhandlungstermin Anfang April hatte er angekündigt, seine Klage notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen.

Nächsthöhere Instanz ist das Oberlandesgericht Naumburg

Düllmanns Anwalt Hubertus Benecke sagte dem epd am Freitag, Düllmann sei grundsätzlich bereit, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Um Genaueres sagen zu können, müsse er jedoch die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, erklärte der Anwalt. Mit Düllmann habe er noch nicht sprechen können. Nächsthöhere Instanz ist laut Richter Pechtold das Oberlandesgericht Naumburg.

Das Sandsteinrelief war um das Jahr 1300 an der Südfassade der Stadtkirche angebracht worden. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Schweine gelten im Judentum als unrein. Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter unter anderem davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich an mehreren Dutzend weiteren Kirchen in Deutschland.

Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch

Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte unterhalb des Reliefs anbringen. Ihre Inschrift nimmt Bezug auf den Völkermord an den Juden im Dritten Reich, die Plastik selbst findet jedoch keine Erwähnung. Der Wittenberger Stadtrat sprach sich Mitte 2017 für den Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ in Absprache mit der Gemeinde eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch errichten.

Im Jahr des 500. Jubiläums der Reformation 2017 hatte die Debatte um die Spottplastik an der Wirkungsstätte von Reformator Martin Luther (1483-1546) erneut an Fahrt aufgenommen. Luther hetzte insbesondere in seinem Spätwerk gegen Juden.

Düllmann hatte seine Klage 2018 zunächst vor dem Amtsgericht Wittenberg eingereicht. Wegen des hohen Streitwerts von mehr als 10.000 Euro hatte der Richter den Fall vor gut einem Jahr an das Landgericht überwiesen.

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