Sitz des "Spiegels" in Hamburg
epd-bild / Stephan Wallocha
In zahlreichen Artikeln verfälschte er Fakten, erfand ganze Geschichten, bis ihm ein Kollege auf die Schliche kam: Der Betrugsfall um den ehemaligen "Spiegel"-Reporter Claas Relotius schockte die Medienwelt. Eine Kommission sollte Klarheit schaffen.
24.05.2019

Die Aufklärungskommission im Fall Relotius hat schwere Vorwürfe gegen die damaligen Vorgesetzten des "Spiegel"-Reporters Claas Relotius erhoben. Ein neues Regelwerk solle in Zukunft dafür sorgen, dass sich Fälschungen wie die von Relotius nicht wiederholen können, sagte "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann bei der Präsentation des Abschlussberichts der Kommission am Freitag in Hamburg. Als unmittelbare Folge der Aufklärung will das Nachrichtenmagazin eine Ombudsstelle einrichten, bei der Leser und Kollegen Ungereimtheiten in Artikeln melden können. In Zukunft solle jede Woche eine Geschichte aus dem Heft "erweitert verifiziert" werden.

Es habe "drei deutliche Warnungen vor Fälschungen in Relotius-Geschichten" gegeben, heißt es in dem am Freitag auf "Spiegel Online" veröffentlichten Bericht. Sowohl der damalige Leiter des Gesellschaftsressorts, Matthias Geyer, als auch sein Vorgänger Ullrich Fichtner seien über die Vorwürfe gegen Relotius schon frühzeitig im Bilde gewesen.

Erst die Recherchen seines Kollegen Juan Moreno legten letztendlich die Fälschungen Relotius' offen. Moreno sei über viele Wochen hinweg "gegen Wände gelaufen", bis ihm jemand geglaubt habe, sagte Brigitte Fehrle, frühere Chefredakteurin der "Berliner Zeitung" und Mitglied der Kommission. Dieser Umgang mit einem langjährigen Kollegen habe sie schockiert. Die Fälschungen in Relotius' Texten hätten ihrer Meinung nach auch in anderen Redaktionen passieren können.

Keine ausgeprägte Kritik- und Fehlerkultur

Die Kommission betonte, Relotius sei als "Einzeltäter" "in allererster Linie für sein Handeln verantwortlich". Gleichzeitig identifizierte die Kommission fünf Faktoren, die "eine systematische Rolle" in dem Fall gespielt haben könnten. Dazu zählten zum einen die Reportage als für Fälschungen anfällige Stilform und der Druck im Gesellschaftsressort, Journalistenpreise zu gewinnen. Weitere Faktoren seien die Sonderrolle des Gesellschaftsressorts, das im Haus den Ruf habe, sich abzuschotten und eine nicht ausgeprägte Kritik- und Fehlerkultur. Klusmann kündigte Veränderungen in dem Ressort an, nannte aber keine Details. Außerdem habe es Fehler in der Dokumentation gegeben, die beim "Spiegel" die Texte auf Richtigkeit überprüft.

Der Hamburger Medienwissenschaftler Volker Lilienthal zeigte sich beeindruckt von der Arbeit der Kommission: "Dieser Revisionsbericht überzeugt deshalb, weil er über den Einzelfall Relotius hinaus die klimatischen Konflikte und strukturellen Probleme der Spiegel-Redaktion in den Blick nimmt", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die beschriebenen Verhältnisse seien "teilweise schockierend zu lesen". Würden die vielen praktikablen Vorschläge der Kommission dauerhaft umgesetzt, habe der Spiegel eine Chance, "durch beste Arbeit die alte Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen". Dies werde aber wahrscheinlich Jahre dauern und sei zudem nicht nur eine Frage der eigenen Publikationen: "Gefordert ist auch ein innerer Wandel der Redaktionskultur", unterstrich er.

Wirtschaftlich sei der "Spiegel" "mit einem blauen Auge davongekommen", sagte Geschäftsführer Thomas Hass. Dass der Imageverlust nicht größer sei, liege mit Sicherheit daran, dass die Redaktion direkt für Transparenz gesorgt habe. Anzeigenrückgänge, die mit den Fälschungen in Zusammenhang stehen könnten, seien nicht registriert worden.

Der Ende Dezember 2018 gebildeten Kommission gehörten zunächst der Blattmacher des "Spiegel", Clemens Höges, "Spiegel"-Nachrichtenchef Stefan Weigel sowie als externe Expertin die frühere Chefredakteurin der "Berliner Zeitung", Brigitte Fehrle, an. Höges rückte im April in die Chefredaktion des "Spiegel" auf und wirkte daher nicht mehr in der Kommission mit. Weigel und Fehrle setzten die Arbeit zu zweit fort.

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