Sklavenarbeit, Missbrauch und Folter gehörten Jahrzehntelang zum Alltag der deutschen Colonia Dignidad in Chile. Eine moralische Verantwortung für die Verbrechen der Sekte erkennt auch Deutschland an - und richtet einen neuen Fonds für die Opfer ein.
17.05.2019

Als Zeichen der Anerkennung ihrer Leidensgeschichte erhalten Opfer der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile ab diesem Jahr finanzielle Unterstützung aus der Bundesrepublik. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), stellte am Freitag in Berlin das Hilfskonzept einer Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesregierung vor. Demnach sollen Betroffene möglichst schnell und unbürokratisch bis zu 10.000 Euro pro Person aus einem Hilfsfonds erhalten können. Annen betonte, das Konzept benenne die moralische Verantwortung Deutschlands. Die Gesamtkosten werden auf 3,5 Millionen Euro für rund fünf Jahre beziffert.

Die Colonia Dignidad diente während der Militärdiktatur in Chile (1973-1990) als Folterzentrum des Geheimdienstes. Die Sektensiedlung sorgte auch wegen Fällen sexuellen Missbrauchs und illegalen Waffenhandels für Schlagzeilen. Sekten-Gründer Paul Schäfer starb 2010 in chilenischer Haft.

Überlebende leiden bis heute

Die Überlebenden leiden bis heute unter den Folgen der Gewalt, des Missbrauchs und der Sklavenarbeit. Das Auswärtige Amt erkennt an, dass deutsche Diplomaten zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute getan haben. Rechtliche Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland sind nach Meinung der Bundesregierung aber dadurch nicht entstanden.

Grünen-Parlamentarierin Renate Künast bezeichnete das Hilfskonzept als akzeptables Ergebnis eines sehr schwierigen Prozesses. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand sprach von einem längst überfälligen Schritt, um den Worten zu moralischer Verantwortung endlich Taten folgen zu lassen. Von der Linksfraktion forderte Friedrich Straetmanns die Staatsanwaltschaften in Deutschland auf, nicht lockerzulassen. Auch eingestellte Verfahren könnten wieder aufgenommen werden, wenn neue Tatsachen zutage träten, betonte Straetmanns, der auch Richter ist.

Kein Täter zur Rechenschaft gezogen

In Deutschland wurde noch kein Täter zur Rechenschaft gezogen. Auch der in Chile wegen Beihilfe zu Vergewaltigung verurteilte Sekten-Arzt Hartmut Hopp, der sich nach Deutschland abgesetzt hat, muss nicht ins Gefängnis. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn wurden jüngst nach mehr als siebeneinhalb Jahren eingestellt.

Mit den neuen Hilfen sollen die Folgen gemildert werden, die den Betroffenen durch ihren Aufenthalts in der Siedlung entstanden sind. Finanziert werden den Angaben zufolge etwa Psychotherapien oder Leistungen zur Vorsorge und Rehabilitation, zur Pflege oder zur Weiterbildung.

Straftäter von den Leistungen ausgeschlossen

Zusätzlich zu den Mitteln aus dem Hilfsfonds sollen über einen Fonds "Pflege und Alter" auch Leistungen von Pflegediensten für bedürftige Personen bezuschusst werden, die keinen Zugang zum deutschen Sozialsystem haben. Der Haushaltsausschuss des Bundestags stellte schon im Etat 2019 eine Million Euro für die Opfer der Sekte bereit. Der Betrag wurde mit einem Sperrvermerk bis zur Erarbeitung des Hilfskonzepts versehen.

Das Angebot richtet sich an die deutschen Bewohner der Colonia Dignidad sowie an die chilenischen Staatsbürger, die als Kinder dort lebten. Straftäter sind von den Leistungen ausgeschlossen, wer Täter und wer Opfer ist, entscheiden Experten nach Gesprächen. Die Organisation des Hilfsfonds übernimmt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika kritisierte, eine Einmalzahlung stelle zwar eine Anerkennung für das erlittene Unrecht dar, jedoch nicht die nachhaltige Hilfe, die die Opfer benötigten. Auch die Aufarbeitung der Verbrechen stocke, vermeintliche Täter blieben in Deutschland straflos, teilte der Verein mit.

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