Ziel der UN-Konvention ist eine selbstbestimmte und umfassende Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen und privaten Leben (Archivbild)
epd-bild/Andrea Enderlein
Vor zehn Jahren hat sich Deutschland verpflichtet, behinderten Menschen dieselben Chancen und Möglichkeiten zu garantieren wie allen anderen. Damit sei man noch nicht besonders weit gekommen, meinen der Beauftragte der Regierung und Sozialverbände.
26.03.2019

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, hat zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland eine kritische Bilanz gezogen. Er sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Dienstag), er gebe Deutschland nur die Note "befriedigend bis ausreichend". "Wir sind noch lange nicht am Ziel", fügte er hinzu. Kritik kam auch von den Grünen und Sozialverbänden. Ziel der UN-Konvention, zu deren Umsetzung sich Deutschland verpflichtet hat, ist eine selbstbestimmte und umfassende Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen und privaten Leben unter dem Stichwort "Inklusion".

Dusel erklärte am Beispiel Arbeitsmarkt, einerseits seien mit 1,2 Millionen so viele schwerbehinderte Menschen in einem regulären Job beschäftigt wie nie zuvor. Andererseits seien behinderte Menschen weiterhin deutlich häufiger und länger arbeitslos als Menschen ohne Behinderungen. Ein Viertel aller Arbeitgeber, die dazu verpflichtet seien, habe niemanden mit einer Behinderung eingestellt, sondern zahle die Ausgleichsabgabe. "Das ist inakzeptabel", kritisierte der Beauftragte der Bundesregierung und forderte schärfere Regelungen.

Barrierefreiheit auch für das Internet

Dusel verlangte auch eine Anpassung der Steuererleichterungen für behinderte Menschen. Die Pauschalbeträge seien seit 1975 nicht erhöht worden. Im Baurecht müsse sich ebenfalls einiges ändern. Barrierefreiheit im Wohnungsbau müsse wie Brandschutz zum Standard werden. Jedes Kino und Café, das nicht barrierefrei ist, schließe Menschen aus, sagte Dusel.

Barrierefreiheit forderte der Beauftragte auch für das Internet. Die Seiten müssten mit Vorlesefunktionen und Videos in Gebärdensprache ausgestattet werden, damit Behinderte nicht vom digitalen Wandel ausgesperrt würden, sagte Dusel dem Radiosender Bayern 2.

Grüne: Abschaffung des Mehrkosten-Vorbehalts

Die Grünen forderten anlässlich des Jahrestags des Inkrafttretens der UN-Konvention die Abschaffung des sogenannten Mehrkosten-Vorbehalts, der in vielen Fällen die Finanzierung selbstständigen Wohnens für behinderte Menschen verhindert. Die Regelung zwinge die Menschen in Heime, sagte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag). Der UN-Konvention zufolge darf niemand gezwungen werden, gegen seinen Willen in einer besonderen Wohnform zu leben.

Nach einer infas-Untersuchung im Auftrag von "Aktion Mensch" und der Wochenzeitung "Die Zeit" wollen 85 Prozent der Bundesbürger, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt zusammenleben. Dafür dass Kinder mit und ohne Beeinträchtigung zusammen aufwachsen, sprachen sich 94 Prozent aus - aber nur 66 Prozent wollen, dass die Kinder auch gemeinsam unterrichtet werden.

"Eine inklusive Gesellschaft haben wir noch lange nicht"

Sozialverbände sahen skeptisch auf den Jahrestag. Diakonie-Vorstand Maria Loheide sah keinen Anlass zu feiern. "Eine inklusive Gesellschaft haben wir noch lange nicht", erklärte sie. Besonders in den Schulen, in der Ausbildung und in der Kinder- und Jugendhilfe sei zu wenig erreicht worden.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, erneuerte die zentrale Forderung ihres Verbandes, private wie öffentliche Anbieter von Waren und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Nur zehn Prozent aller Hausarztpraxen etwa seien für alle zugänglich, kritisierte sie. Ähnlich äußerte sich der AWO-Bundesverband. "Menschen mit Behinderungen sehen sich tagtäglich mit kaum zu überwindenden Hindernissen konfrontiert", bilanzierte Vorstandsmitglied Brigitte Döcker.

Am Abend sollte bei einem Festakt in Berlin mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Erreichte gewürdigt und über weitere Aufgaben diskutiert werden.

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