Häusliche Gewalt wird häufig nicht erkannt (Archivbild)
epd-bild/Steffen Schellhorn
Nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin Kathinka Beckmann ist die Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte defizitär. Dies sei auch der Grund dafür, dass Jugendämter Gewalt und organisierte sexuelle Kriminalität gegen Kinder übersehen.
22.03.2019

Eklatante Defizite in der Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte sind nach Ansicht der Koblenzer Politikwissenschaftlerin Kathinka Beckmann in hohem Maße verantwortlich dafür, dass Jugendämter in Deutschland Gewalt gegen Kinder übersehen. In vielen Hochschulen werde dieses Thema gar nicht oder zu wenig beleuchtet, sagte Beckmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Studium sei eine Breitbandausbildung und decke das gesamte Spektrum der Sozialen Arbeit von Kindern über Senioren bis zur Suchthilfe ab.

Auch deshalb hielten es die Fachkräfte oft nicht für möglich, dass Gewalt und organisierte sexuelle Kriminalität gegen Kinder auch in ihrem eigenen Einzugsbereich vorkommt, sagte die Professorin der Hochschule Koblenz. Sie nähmen Hinweise, wie es sie auch beim mutmaßlich tausendfachen sexuellen Missbrauch von Kindern im westfälischen Lügde und in Gifhorn offenbar gegeben habe, gar nicht ernst. "Jeder weiß, dass Fälle wie in Lügde und Gifhorn nur die Spitze des Eisbergs sind. Aber die wenigsten ertragen es, sich das vorzustellen", sagte Beckmann.

Einarbeitungszeit weniger als drei Monate

Auf einem Campingplatz in Lügde bei Bad Pyrmont sollen mehr als 30 Kinder jahrelang von drei Männern sexuell missbraucht worden sein. Unter den Opfern war auch das Pflegekind des Hauptverdächtigen. Das örtliche Jugendamt kannte den Mann. In einer Wohngruppe in Gifhorn sollen offenbar ebenfalls über Jahre junge Mädchen missbraucht worden sein. Unter Verdacht steht ein Ehepaar, das die Gruppe über 25 Jahre geleitet hat.

Beckmann sagte, die Arbeit der Fachkräfte in den Jugendämtern sei verantwortungsvoll und eine große Herausforderung. Sie müssten etwa die aktuelle Gesetzlage parat haben, die Alarmsignale bei Kindern erkennen und bei Hausbesuchen die Familiendynamik durchschauen können. Doch auch bei der Einarbeitung der jeweils neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hapere es gewaltig.

Die Wissenschaftlerin hat im vergangenen Jahr eine repräsentative Studie über die Arbeit der 563 Jugendämter in Deutschland vorgelegt. Ein Drittel der Behörden haben demzufolge gar kein Einarbeitungsmodell. Die übrigen haben zwar eines, bei 56 Prozent von ihnen betrage die Einarbeitungszeit aber weniger als drei Monate: "Danach kann ich gut in einer Cocktailbar arbeiten, aber nicht in einer so verantwortungsvollen Aufgabe", kritisierte Beckmann, die selbst Sozialpädagogin ist.

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