Marianne Birthler (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zoellner
Die osteuropäischen Freiheitsbewegungen sind nach Ansicht der früheren Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, auch bald 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht im historischen Gedächtnis Westeuropas angekommen.
21.03.2019

Sie halte es für "ein ganz wesentliches Problem, dass Westeuropa die Geschichte des Ostblocks noch nicht als eigene, europäische Geschichte ansieht", sagte sie am Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse.

Westeuropa habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg über die Auseinandersetzung mit Deutschland und dem Nationalsozialismus definiert, erklärte Birthler. Das sei etwas sehr Wertvolles. "Aber 1989 kamen wir dazu und unsere Geschichte des Ostblocks, und das ist aus der Perspektive von Wien oder Paris immer noch etwas, was hinter dem Ural stattgefunden hat", sagte die gebürtige Berlinerin.

Demokratische Revolution

"Ich glaube, dass es für die Zukunft Europas sehr wichtig ist, dass auch die Geschichte Mittel- und Osteuropas zentraler Teil der europäischen Erzählung wird", betonte Birthler. Die Umbrüche um das Jahr 1989 hätten eindrucksvoll gezeigt, dass es auch dann zu Veränderungen kommen könne, wenn kaum noch Hoffnung da sei. "Diese Erfahrung weiterzugeben, halte ich für sehr wichtig", erklärte Birthler.

Für sie persönlich sei der 9. Oktober 1989 das zentrale Datum der friedlichen Revolution gewesen, sagte Birthler. "Viele denken immer, der Tag des Mauerfalls am 9. November hätte uns Ostdeutschen die Freiheit gebracht. Das ist aber wirklich nicht richtig", sagte sie. Es habe zuvor eine demokratische Revolution gegeben, die den Mauerfall erst möglich gemacht habe. Am 9. Oktober 1989 hatten in Leipzig mehr als 70.000 Menschen friedlich gegen die SED-Diktatur demonstriert.

Hoffnung bewahren

Auch der Chefredakteur der liberalen polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", Adam Michnik, betonte die Bedeutung, sich die Hoffnung zu bewahren. Vor der Wende 1989 habe es auch in Polen kaum jemand für möglich gehalten, dass es in der Sowjetunion zu Veränderungen kommen oder man sich "mit den Kommunisten sinnvoll an einen Tisch setzen" könnte, erklärte der frühere Bürgerrechtler.

Mit Blick auf die illiberalen Tendenzen in Polen und Ungarn sagte Michnik: "Es ist unerhört, wie es den antidemokratischen Eliten gelungen ist, die Gesellschaft zu manipulieren." Diese Angstmache etwa vor dem Fremden sei in Polen sehr gefährlich. Mit Blick auf seine historischen Erfahrungen fügte Michnik hinzu: "Seid immer auf der Seite des Menschen und nie auf der Seite des Stacheldrahts."

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