Ein Mann füllt einen Hartz-IV-Antrag aus.
epd-bild/Norbert Neetz
Mehr Geburten und Zuwanderung reichen laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung nicht aus, um mögliche drastische Kostensteigerungen des Sozialstaats aufzufangen. Demografie-Experten halten vor allem einen Ausbau der Beschäftigung für nötig.
14.03.2019

Die Kosten für den Sozialstaat könnten sich einer Studie zufolge innerhalb von etwa 30 Jahren verdoppeln. Die Ausgaben drohten von 890 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf 1,6 Billionen Euro im Jahr 2045 zu steigen, warnen die Autoren der Studie, die die Bertelsmann Stiftung am Donnerstag in Gütersloh veröffentlichte. Die steigenden Ausgaben könnten weder allein durch mehr Kinder, noch durch mehr Zuwanderung gebremst werden. Nach Einschätzung der Autoren müssen Menschen früher in Arbeit gebracht werden und länger arbeiten. Auch die Experten der Hans-Böckler-Stiftung mahnen den Ausbau von Beschäftigung an, höhere Sozialstaatskosten halten sie zugleich für richtig.

Mehr Geburten allein brächten keine Entlastung, weil dadurch zunächst die Ausgaben für Bildung und Familie steigen würden, erläuterten die Autoren der Bertelsmann-Studie. Durch steigende Zuwanderzahlen lasse sich zwar der Alterungsprozess der Gesellschaft zunächst verlangsamen. Langfristig alterten jedoch auch die Zuwanderer, oder sie wanderten wieder ab.

Um den Sozialstaat zu finanzieren, würden jüngere Generationen immer stärker belastet, warnte die Bertelsmann Stiftung. Die vorgestellten Szenarien seien jedoch nicht unausweichlich. Nötig sei die Kombination von mehr Geburten und Zuwanderung mit einem höheren Beschäftigungsniveau, erklärte die Demografieexpertin der Bertelsmann Stiftung, Martina Lizarazo López. Zuwanderer müssten schneller integriert werden, Beschäftigung von Frauen und Migranten ausgeweitet und die Regelaltersgrenze erhöht werden.

Erhöhter Finanzierungsbedarf für zukünftige Renten

Auch Experten der Hans-Böckler-Stiftung bezeichneten es als unstrittig, dass Deutschland altere und dass damit ein erhöhter Finanzierungsbedarf für die zukünftigen Renten und für Pflege verbunden sei. Dem könne sich die Gesellschaft nicht entziehen, erklärten die Böckler-Experten für Alterssicherung, Rudolf Zwiener und Florian Blank, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es ist allerdings nicht gerechtfertigt, dies als Ungerechtigkeit oder soziale Schieflage für die jüngere Generation zu interpretieren", kritisierten sie.

Die jüngere Generation beginne ihr Leben mit einem deutlich besseren materiellen Wohlstand als vorangegangene Generationen, erklärten die Experten der gewerkschaftsnahen Stiftung, die auf eine Böckler-Studie aus dem Jahr 2018 verwiesen. Würde man in Zukunft auf höhere Beitragssätze für Renten- und Pflegeversicherung verzichten, würde man ihre zukünftige materielle Situation sogar noch deutlich verschlechtern. Denn dann würde sie im Alter nur noch Minirenten und keine ausreichenden Pflegeleistungen erhalten.

Großes Potenzial bei der Ausweitung des Arbeitsmarktes

Für die Bewältigung des demografischen Wandels gebe es noch großes Potenzial bei der Ausweitung des Arbeitsmarktes, unterstrichen die Wissenschaftler der Böckler-Stiftung. So gebe es noch zu viele Minijobs, häufig nur geringe Stundenzahlen bei arbeitenden Frauen und eine vergleichsweise geringere Erwerbsintegration älterer und zugewanderter Menschen. Wenn Deutschland hier deutliche Verbesserungen gelingen würden, "dann schrumpft das Schreckgespenst der demografischen Alterung auf eine Dimension, die zu bewältigen ist". Sozialpolitische Kürzungsmaßnahmen oder eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters wären dann überflüssig, unterstrichen die Experten.

Aktuell kämen auf 100 Menschen zwischen 15 und 64 Jahren etwa 33 Menschen über 65 Jahren, heißt es in der Bertelsmann-Studie, die von Wissenschaftlern der Bochumer Ruhr-Universität erstellt wurde. Im Jahr 2035 könnten es den Prognosen der Studie zufolge etwa 50 Ältere sein. Die Böckler-Stiftung geht hingegen von niedrigeren Steigerungen aus.

Für die Studie der Bertelsmann Stiftung entwickelten die Wissenschaftler der Ruhr-Universität sowohl plausible wie auch extreme Langfristsimulationen zur Bevölkerungsentwicklung und zu ihren Folgen. Die Effekte der Szenarien wurden für die Bereiche Altersicherung, Gesundheit, Pflege, Arbeitsmarkt, Grundsicherung sowie Bildung und Familie berechnet.

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