Neurologe Henry Markram mit seinem autistischen Sohn Kai (Foto undatiert)
epd-bild/Markram
Autistische Kinder sollten nicht dazu gedrillt und gedrängt werden, mit anderen zu interagieren, meint der Hirnforscher Henry Markram.
04.01.2019

Nach den Erkenntnissen des Hirnforschers Henry Markram sollten Therapeuten autistischen Kindern nicht ihre Rituale nehmen. "Wir sollten das Kind erst mal in seiner Welt lassen und unsere Welt anpassen", sagte Markram dem Evangelischen Pressedienst (epd). Autistische Kinder sollten nicht dazu gedrillt und gedrängt werden, mit anderen zu interagieren.

Damit stellte der Neurologe sich deutlich gegen die Methode der Angewandten Verhaltensanalyse (ABA). Bei der ABA-Therapie werden Belohnungen und teilweise auch Strafen eingesetzt, um das Verhalten autistischer Kinder ab zwei Jahren zu verändern. So sollen Verhaltensmuster wie etwa die Verweigerung sozialer Interaktion oder die Fixierung auf bestimmte ritualisierte Handlungen, beispielsweise exzessiv Lego zu bauen oder immer das Gleiche zu essen, aufgebrochen werden. Das Verhalten der Kinder soll an soziale Normen angepasst werden.

"Rituale beruhigen die Kinder"

Das Wegnehmen ihrer Rituale sei für autistische Kinder allerdings nachteilig, denn: "Die Rituale beruhigen die Kinder. Da ist etwas, was sie gut können oder verstehen", sagt der israelische Hirnforscher. "Wenn du ihnen das nimmst, löst es Ängste aus." Nach den Forschungsergebnissen des Neurologen und seiner Frau Kamila Markram erleben Autisten Sinneseindrücke, aber auch Erinnerungen und Angst um ein Vielfaches intensiver als andere Menschen.

Bei Autisten lässt sich ihrer Forschung zufolge kein neuronales Defizit nachweisen. Vielmehr sei das Hirn übermäßig aktiv und reagiere besonders sensibel auf Reize. Um einer Überforderung zu entfliehen, zögen sich viele Autisten in ihre eigene Welt und in Rituale zurück. Mit ihrer Theorie widerspricht das Forscherpaar der Annahme, Autisten fehle die Fähigkeit zu sozialem Kontakt und zu Empathie. Der soziale Rückzug sei lediglich eine Folge der permanenten Reizüberflutung.

Selbst Kontrolle übernehmen

"Die Kinder sollten behutsam an die Reize herangeführt werden, zur langsamen Gewöhnung", sagt Markram. "Wenn bis zu Beginn der Schulzeit Eindrücke gedämpft und gefiltert werden, ist die größte Gefahr gebannt, dass Teile des Gehirns in eine dauerhafte Überaktion versetzt werden." Anschließend sei es sinnvoll, dass das Kind die Kontrolle übernehme und selbst vorgeben könne, was gut für es ist. "Es sollte ganz natürlich und von alleine geschehen, sanft geleitet und ermuntert." Markram rät Eltern: "Unterstützen Sie Ihr Kind, wie Sie es für richtig halten - aber in Zeitlupe."

Henry Markram stammt ursprünglich aus Südafrika. Für seine Forschungen wurde er unter anderem mit dem Fulbright Stipendium ausgezeichnet. Markram hat einen autistischen Sohn, der heute an einem israelischen Gericht arbeitet.

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