Autistische, in ihrer sozialen Kommunikation eingeschränkte Menschen können nicht die Teilnahme an einer mündlichen Gerichtsverhandlung per Online-Chat von zu Hause aus verlangen.
03.01.2019

Auch wenn Gerichte gehalten sind, in einem Rechtsstreit behinderten Verfahrensbeteiligten eine barrierefreie Teilhabemöglichkeit zu gewähren, können Betroffene keine mündliche Verhandlung allein nach ihren Vorstellungen beanspruchen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. (AZ: 1 BvR 957/18)

Im konkreten Fall ging es um einen autistischen Mann aus Sachsen mit einem sogenannten Asperger-Syndrom. Die Erkrankung geht mit Kommunikationsstörungen, Vereinzelung und teilweise auch körperlicher Ungeschicktheit einher. Der 42-jährige Beschwerdeführer wollte wegen seiner Erkrankung auf dem Rechtsweg einen höheren Grad der Schwerbehinderung (GdB) erreichen. Er verlangte außerdem verschiedene Merkzeichen in seinem Schwerbehindertenausweis.

Integrationsfähigkeit "hochgradig beeinträchtigt"

Nachdem ein Gutachter in dem Rechtsstreit festgestellt hatte, dass die Integrationsfähigkeit des Mannes in die Gesellschaft "hochgradig beeinträchtigt" ist, bot der zuständige Sozialhilfeträger einen GdB von 70 an. Die Zuerteilung der Merkzeichen wurde abgelehnt.

Diese wollte der Kläger nun vor Gericht erstreiten. Er forderte allerdings eine "barrierefreie" Teilhabemöglichkeit an der mündlichen Verhandlung. Wegen seiner Kommunikationsstörung wolle er von zu Hause per Online-Chat an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.

Das Sächsische Landessozialgericht bestand jedoch auf der persönlichen Anwesenheit des Mannes. Es bot aber an, ihm den Sachbericht zur Verhandlung vorab schriftlich zu übersenden.

Ungleichbehandlung liege nicht vor

Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass behinderte und psychisch kranke Menschen zwar ein Recht auf barrierefreie Teilhabe an einer mündlichen Verhandlung haben. Doch auch wenn nach dem Grundgesetz niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe, ergebe sich daraus nicht das Recht, dass Betroffene eine mündliche Gerichtsverhandlung uneingeschränkt nach ihren Vorstellungen verlangen können.

Ein Anspruch darauf, an einer mündlichen Verhandlung per Online-Chat teilzunehmen, gebe es nicht. Die Verhandlung diene dazu, den Sachverhalt transparent und korrekt zu ermitteln. Dies sei "rechtsstaatlich unerlässlich", befanden die Verfassungsrichter. Eine zu beanstandende Ungleichbehandlung liege nicht vor. Der Beschwerdeführer habe zudem die Möglichkeit, einen Anwalt zu beauftragen, der seine Rechte in der Verhandlung wahrnimmt.

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