Niels Högel vor Gericht in Oldenburg Ende Oktober
epd-bild/Julian Stratenschulte/dpa-Pool
Im Mordprozess gegen den früheren Krankenpfleger Niels Högel schilderte der Angeklagte am Mittwoch, wie die Klinikmorde aus seiner Sicht abliefen. Sie hätten sich zu einem "Automatismus" entwickelt, der ihn immer weitermachen ließ.
12.12.2018

Der frühere Krankenpfleger Niels Högel hat vor dem Oldenburger Landgericht insgesamt 43 von 100 Mordvorwürfen eingeräumt. Am Mittwoch befragte der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann den 41-Jährigen zu dem letzten Fall vor seiner Verhaftung. Högel räumte ein, Renate R. am 24. Juni 2005 vergiftet zu haben. Die anschließende Reanimation sei erfolglos geblieben. Nach dem Ende der Schicht sei er in den Urlaub gegangen. Am 3. Januar soll als erster Zeuge der Leiter der ermittelnden Sonderkommission "Kardio", Kriminaloberrat Arne Schmidt, befragt werden (Az: 5Ks 1/18).

Högel muss sich wegen Mordes an 100 Patienten verantworten, die er zwischen 2000 und 2005 in Oldenburg und Delmenhorst getötet haben soll. Der Anklage zufolge hat er Patienten mit Medikamenten vergiftet, die zum Herzstillstand führten. Anschließend versuchte er sie wiederzubeleben, um als rettender Held dazustehen. Fünf Mal wies er die Anschuldigung kategorisch zurück. Außer den eingestandenen Taten könne er sich nicht an die Patienten erinnern. Er könne aber nicht ausschließen, für ihren Tod verantwortlich zu sein. Wegen sechs weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslange Haftstrafe.

Kollegen sollten getestet werden

Gerade in der Anfangszeit in Oldenburg habe er Patienten in die lebensbedrohende Krise geführt, um seine Kollegen zu testen, sagte Högel am fünften Verhandlungstag. "Ich wollte sehen, wer gut ist und wie die Abläufe sind." So habe er sich anpassen können, um bei seinen Taten nicht entdeckt zu werden. Zum Schluss habe er nicht mehr darauf geachtet, ob das Krankheitsbild eines Patienten zu einer Reanimation passe. Viel mehr habe er Rundgänge gemacht, "um zu sehen, wer sich eignet". Zugleich sei er zusehends innerlich "schlampig und verwahrloster" geworden.

Immer öfter habe er es darauf angelegt, erwischt zu werden. Högel sprach von "Gleichgültigkeit" und einem "Automatismus", der ihn habe weitermachen lassen. Am Ende habe er alle zwei bis drei Dienste einen Menschen vergiftet. Richter Bührmann verglich Högels Verhalten mit der Sucht eines drogenkranken Menschen.

Weil er es nicht ertragen hätte, die Patienten im wachen Zustand leiden zu sehen, habe er im Zweifel vor der Vergiftung den Narkosemittel-Zufluss erhöht, sagte der Ex-Krankenpfleger. Überhaupt habe er nur dann Menschen "manipuliert", wenn sie tief sediert gewesen seien, betonte Högel.

"Ich fühlte mich unangreifbar"

In einigen Fällen seien Kollegen länger als geplant bei den von ihm ausgewählten Patienten geblieben. In solchen Situationen habe er von seinem Vorhaben auch schon einmal abgelassen oder in der Zeit einen anderen Patienten vergiftet. Mehrfach fügte er seinen Aussagen hinzu, dass viele Reanimationen erfolgreich verlaufen seien.

Dass Kollegen misstrauisch wurden, habe er nicht bemerkt. Anspielungen seien offenbar von ihm abgeprallt. "Ich fühlte mich unangreifbar." Nie habe ihn jemand mit Vorwürfen konfrontiert. Erst in der letzten Schicht habe er das Gefühl gehabt, von zwei Kollegen beobachtet zu werden. Auf dem Weg nach Hause habe er gedacht, er werde nie wieder ins Krankenhaus zurückkehren. Er habe mit einem Rauswurf oder einer Verhaftung gerechnet. "Mir war klar, dass ich damit auch meine Familie zerstört habe." Verhaftet wurde er erst am 8. Juli 2005, rund zwei Wochen nach seiner letzten Tat.

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