Ethikrat: Fixierung nur als letztes Mittel
epd-bild/Werner Krueper
Mit der Frage, wie weit darf man gehen, um behinderte oder kranke Menschen vor sich selbst zu schützen, hat sich der Ethikrat beschäftigt. Zwang sei nur das allerletzte Mittel, sagen die Experten.
01.11.2018

Zwangstherapien und Freiheitseinschränkungen dürfen nach Ansicht des Deutschen Ethikrats nur das allerletzte Mittel sein, wenn hilfsbedürftige Menschen vor sich selbst geschützt werden müssen. Zu diesem Ergebnis kommt das Gremium in seiner jüngsten Stellungnahme, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Sie beschäftigt sich mit Grenzsituationen im Sozial- und Gesundheitswesen. Das gut 250-seitige Papier wurde den Angaben zufolge ohne Gegenstimmen verabschiedet.

Hilfe durch Zwang?

Ein Auslöser für die Erarbeitung der Stellungnahme unter dem Titel "Hilfe durch Zwang?" war die Debatte um Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie. Sie hatte auch die Rechtssprechung in Bewegung gebracht. Mehrfach hatte das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren die rechtlichen Hürden erhöht. Der Ethikrat folgt derselben Logik. In der Psychiatrie, in der Pflege, bei der Betreuung von behinderten Menschen und in der Kinder- und Jugendhilfe müssten zunächst alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, Zwang zu vermeiden, heißt es in der Stellungnahme.

Der Vorsitzende des Gremiums, Peter Dabrock, erklärte, die Situationen, mit denen sich das Gremium beschäftigt habe, beträfen Millionen von Menschen direkt oder indirekt. Wenn Zwang angewendet werde, dann müsse dies möglichst kurz, schonend und selten geschehen. Damit alle Beteiligten mit den Folgen leben können, empfiehlt der Ethikrat dringend eine intensive Nachbereitung, entweder mit den Betroffenen, oder, wenn dies nicht möglich ist, mit den Angehörigen oder rechtlichen Betreuern. Die Stellungnahme enthält zahlreiche einzelne Empfehlungen für die Psychiatrie, die Jugendhilfe und die Pflege. Der Ethikrat hatte während der Erarbeitung unter anderem Betroffene und Praktiker angehört.

Nur zum Selbstschutz

Zwang darf laut der Stellungnahme überhaupt nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn der oder die Betroffene keine selbstbestimmte Entscheidung treffen kann und davor geschützt werden muss, sich selbst zu schädigen, beispielsweise in einer schweren Depression oder wegen einer Demenz. Solange Menschen aber selbstbestimmt Entscheidungen treffen können, müssen diese von Medizinern, Psychiatern oder Pflegern respektiert werden - auch dann, wenn sie dem Betreffenden schaden. Mit der in der Praxis häufigen Vermischung von Gefahr für den Betroffenen selbst, für professionelle Helfer und Dritte beschäftigt sich die Stellungnahme nicht.

Ausdrücklich erklärt der Ethikrat, für die Einhaltung der ethischen Prinzipien seien nicht allein die jeweiligen Ärzte, Jugendhelfer oder Pflegekräfte verantwortlich. Vielmehr müssten die Strukturen und Arbeitsbedingungen darauf ausgerichtet sein, es nicht zu Situationen kommen zu lassen, in denen nur die Anwendung von Zwang bleibe.

Medikamente und Bettgitter

Zu Zwangsmaßnahmen zählen Medikamentengaben wider Willen, Bettgitter, Fixierungen und die Einweisung in geschlossene Einrichtungen. Als indirekte Zwangsmaßnahmen werden etwa versteckte Medikamentengaben im Essen, das Abschließen von Türen oder die Wegnahme von Gehhilfen genannt. Diese sind dem Ethikrat zufolge nie gerechtfertigt, wenn sie allein dem Betriebsablauf beispielsweise in einem Altenheim dienen.

Es müsse immer vom einzelnen Patienten her entschieden werden: Ist für ihn oder sie ein Bettgitter oder das Festbinden notwendig, damit er oder sie nicht zu Schaden kommt? Die Ethikerin und Psychiatrie-Expertin Sigrid Graumann, die die Stellungnahme maßgeblich miterarbeitet hat, sagte, häufig sei die Vorentscheidung das eigentliche Problem: Dass jemand überhaupt festgebunden oder ruhiggestellt werden solle, obwohl es auch anders ginge.

Richterliche Genehmigung umgangen

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte, Hunderttausende Pflegebedürftige litten unter diesen Missständen. Um die erforderliche richterliche Genehmigung für Fixierungen zu umgehen, würden zunehmend Pflegebedürftige mit Medikamenten ruhiggestellt. Auch das sei "Freiheitsberaubung", sagte Brysch.

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