Reichstagsgebäude in Berlin, Sitz des Bundestages
epd-bild/Jürgen Blume
"Man sieht nicht die Erfolge, sondern man sieht nur die verbliebene Differenz zum Westen", sagt der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder zur Stimmungslage in Ostdeutschland.
02.10.2018

Der Leiter des SED-Forschungsverbundes an der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder, fordert eine schonungslose und ehrliche Bestandsaufnahme der deutschen Einheit. Vor dem 28. Jahrestag der deutschen Vereinigung sagte der Politikwissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Erfolge der Einheit sollten viel stärker betont werden. Das dürfe nicht propagandistisch geschehen, sondern mit dem ehrlichen Verweis auf die Lage im Jahr 1990 und der Frage "Was haben wir erreicht, was haben wir nicht erreicht?"

Für viele Menschen sei die deutsche Einheit Anlass zur Freude, das belegten seit vielen Jahren regelmäßige Umfragen. Das werde aber eingetrübt durch die derzeitige politische und gesellschaftliche Situation. Immer noch sei es eine Minderheit, die unzufrieden ist. Diese sei allerdings recht groß mit einem Anteil von 40 bis 45 Prozent. Diese Menschen hätten immer noch Minderwertigkeitskomplexe gegenüber dem Westen, fühlten sich zu kurz gekommen und nicht anerkannt.

Sozialneid geschürt

"Und jetzt kommen die Ausländer. Viele von denen haben gar nichts grundsätzlich was gegen Ausländer, aber sie haben etwas gegen kriminelle Ausländer und Wirtschaftsflüchtlinge", sagte Schroeder. Dabei seien sie zum Teil selbst einmal Wirtschaftsflüchtlinge gewesen, hätten das aber vergessen. Diesen Sozialneid habe die Linkspartei über Jahrzehnte in der Bevölkerung geschürt. "Und diese Saat geht jetzt rechts auf", sagte Schroeder.

Objektiv gehörten viele der Ostdeutschen, die heute bei "Pegida" und Co mitliefen oder AfD wählten, der Mittelschicht an. Aber subjektiv würden sie denken, es könnte ihnen eigentlich viel besser gehen - besonders im Vergleich mit der Mittelschicht im Westen, sagte Schroeder. Dabei seien die faktischen Renten im Osten höher als im Westen, sagte der Politikwissenschaftler.

Vergessen werde bei der Debatte auch das Erbe des SED-Staates, die kaputte Wirtschaft und die zerstörte Umwelt. Dass dadurch das Vermögen im Osten sehr viel geringer sei als im Westen, sei logisch. "Aber die Menschen führen das auf die Wiedervereinigung zurück, dass sie jetzt nur 40 bis 50 Prozent des Vermögens haben, was man durchschnittlich im Westen hat. Aber 1990 hatten sie nur 19 Prozent. Man sieht nicht die Erfolge, sondern man sieht nur die verbliebene Differenz zum Westen." Das gleiche gelte für die Löhne. Das sei vielleicht menschlich verständlich, aber das sei nichts, was man über Nacht per Staatsdekret verändern könne, sagte der Wissenschaftler.

Ängste sollen ernst genommen werden

Schroeder sprach sich dafür aus, die Menschen trotzdem in ihren Ängsten vor einem politischen Islam oder der Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ernst zu nehmen. Darauf sei nie richtig eingegangen worden. Deswegen hätten die Menschen im Osten stärker als die im Westen das Gefühl, ihn werde etwas aufoktroyiert und als alternativlos dargestellt, womit die Ostdeutschen in der DDR-Zeit schlechte Erfahrungen gemacht hätten. Hätte man viel mehr geredet und die Dinge klargestellt, dann wäre die Welle nicht so hoch geschlagen: "Das ist ein ganz klares Politikversagen."

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