DIW-Präsident Marcel Fratzscher
epd-bild/Norbert Neetz
Der Rechtsruck und die politische Radikalisierung in Teilen Ostdeutschlands richtet nach der Überzeugung des Berliner Ökonomen Marcel Fratzscher enorme wirtschaftliche Schäden an.
19.09.2018

"Der unverdeckte Hass, den wir etwa in Chemnitz sehen, könnte den Anstoß für eine Spirale nach unten geben", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Insbesondere gut ausgebildete, flexible Menschen wollen nicht in einer Gegend leben, in der Hass herrscht, in der Menschen wegen ihrer Religion oder Hautfarbe verfolgt werden."

Der sichtbare Rechtsextremismus könnte nach Fratzschers Ansicht die Abwanderung junger Menschen, unter der ohnehin viele Regionen im Osten seit Jahren leiden, deutlich verstärken. Eine Region, die wirtschaftlich erfolgreich sein wolle, müsse jedoch Talente anlocken. "Hier bekommen Städte, die durch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auffallen, ein Riesenproblem." Toleranz sei ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, erklärte der DIW-Präsident.

"Besorgt über die Zukunft ihrer Kinder"

Für den Rechtsruck in Deutschland nannte Fratzscher als "zentrale Ursache die soziale Polarisierung". In Regionen mit einer verfallenden Infrastruktur, maroden Schulen und nur wenigen guten Jobs mit Perspektiven machten sich die Menschen Sorgen. "Und zwar in allen sozialen Schichten. Viele sind besorgt über die Zukunft ihrer Kinder."

Hinzu komme die große Ungleichheit in Deutschland. Vielen gehe es gut, "aber wir haben zu viele atypisch Beschäftigte". Sie arbeiteten zu geringen Löhnen, in Zeitarbeit, in unfreiwilliger Teilzeit. "Jeder Fünfte schafft es nicht, trotz Job über die Runden zu kommen. Wir haben sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger. Viele alleinerziehende Frauen fallen hinten runter", erläuterte Fratzscher.

"Beachtliche Leistung"

Der DIW-Präsident appellierte an die Politik, "das Thema gleichwertige Lebensbedingungen, wie es der Anspruch des Grundgesetzes ist, ernst zu nehmen". Sie müsse versuchen, wirtschaftlich schwache Regionen attraktiv zu machen: etwa durch den Bau von Wissenschaftszentren. Von ihnen müssten dann auch Unternehmen der Region profitieren. Die Wiedervereinigung habe gezeigt, dass das möglich sei: Berlin, Leipzig, Dresden, Erfurt, Jena seien positive Beispiele.

Fratzscher bewertete die Wiedervereinigung als eine "beachtliche Leistung". Zwar liege das Pro-Kopf-Einkommen im Durchschnitt im Osten mit 70 Prozent noch deutlich unter dem Niveau des Westens. "Darüber können Betroffene frustriert sein. Aber: Realistisch betrachtet war die Wiedervereinigung wirtschaftlich ein großer Erfolg - auch für den Osten, sowohl für die Bevölkerung als auch für die Wirtschaft", sagte der Wirtschaftsforscher.

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