"Bild"-Zeitungsleser
epd-bild/Rolf Zoellner
Vor 30 Jahren stieg der Reporter Udo Röbel in den Fluchtwagen der Geiselgangster von Gladbeck - ein oft zitiertes Beispiel journalistischer Grenzüberschreitungen während des Dramas. Die Medien haben ihre Lektionen gelernt, sagt Röbel heute.
16.08.2018

Journalisten haben aus dem Geiseldrama von Gladbeck nach Einschätzung des früheren "Bild"-Chefredakteurs Udo Röbel wichtige Lehren gezogen. "Mir ist nach Gladbeck kein vergleichbarer Fall bekannt, in dem Journalisten so vehement ihre Grenzen überschritten hätten", sagte Röbel dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (online) zum 30. Jahrestag der Geiselnahme. "Uns Journalisten wurde später zu Recht vorgeworfen, dass wir die Gangster regelrecht hofiert hätten."

Röbel war bei der Geiselnahme im August 1988 als stellvertretender Chefredakteur des "Kölner Express" zu den beiden Kidnappern Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner und ihren beiden Geiseln ins Auto gestiegen, um den Geiselnehmern den Weg zur Autobahn zu zeigen. Nach dem Geiseldrama hatte das Verhalten von Röbel und anderen Journalisten, die die Täter während der Flucht interviewten und durch ihre große Nähe zum Geschehen die Polizeiarbeit behinderten, eine Debatte über Verantwortung und Grenzen des Journalismus entfacht.

"Selbst durch die Medienmangel gedreht"

Röbel sagte, er habe die Erfahrung machen müssen, "wie das ist, wenn man plötzlich selbst durch die Medienmangel gedreht wird". Zugleich habe er später eingesehen, dass die Kritik an den Journalisten während des Dramas berechtigt gewesen sei, sagte Röbel, der von 1998 bis 2000 Chefredakteur der "Bild"-Zeitung war.

Degowski und Rösner waren nach einem Banküberfall am 16. August 1988 mit Geiseln durch Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen sowie die Niederlande geflüchtet. Ein Polizist und zwei Geiseln, der 15-jährige Emanuele De Giorgi und die 18-jährige Silke Bischoff, kamen bei der Verfolgungsjagd ums Leben. Das Geiseldrama dauerte insgesamt 54 Stunden.

"Nie wieder wird die Polizei Gangstern und Medien solche Freiräume geben wie in Gladbeck", sagte Röbel: "Heute wäre die Bank schon nach Minuten so großräumig abgesperrt, dass kein Reporter so nah wie damals herankommen kann." Und selbst wenn es gelänge, würde in den Redaktionen heute viel kritischer geprüft, welches Material man wirklich nutzen würde und welches nicht. Zugleich bräuchten die "Rösners und Degowskis von heute" die klassischen Medien nicht mehr, betonte Röbel: "Die spektakulären Bilder und Filme werden heute ohne jeden Filter auf Twitter und in anderen neuen Medien verbreitet."

Unter Federführung des Presserats Regeln formuliert

Auch der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler glaubt, dass die Medien aus dem Geiseldrama gelernt haben. Als Konsequenz habe die Presse unter Federführung des Presserats Regeln formuliert, die bis heute verbindlich seien, schrieb Gäbler in einem Gastbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel" (Donnerstag). "Journalisten dürfen frei und ungehindert berichten, aber nicht eigenmächtig in das Geschehen eingreifen oder gar polizeiliches Handeln behindern", erklärte Gäbler.

Die Richtlinie 11.2 des Pressekodex sei merklich unter dem Eindruck von Gladbeck abgefasst worden, erklärte Gäbler. Sie lege fest, dass die Presse "sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen" lasse, keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei unternehme und keine Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens führe, schrieb der Professor für Journalismus und Krisenkommunikation an der FHM Bielefeld. "Auch nach Gladbeck gab es noch einzelne Übertretungen dieser Normen. Und es wird sie weiter geben. Aber nicht mehr unter dem Beifall der großen Mehrheit der Medien."

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