Armut in Deutschland
epd-bild/Steffen Schellhorn
Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt vor den Folgen der sozialen Spaltung und fordert ein Umsteuern. Sein Jahresgutachten belegt: Inzwischen sorgt sich ein Großteil der Bevölkerung um den Zusammenhalt der Gesellschaft.
07.08.2018

Nach Jahren in der Rolle des lästigen Mahners fühlt sich der Paritätische Wohlfahrtsverband bestätigt. Die Bundesregierung habe den sozialen Zusammenhalt endlich wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt, heißt es im diesjährigen Gutachten des Verbandes zur sozialen Lage in Deutschland: "spät, aber hoffentlich nicht zu spät". Die Studie wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt. Sie liefert Zahlen, kritisiert die Politik und stellt Forderungen - inzwischen zum fünften Mal. Die FDP warf dem Verband Alarmismus vor, Linke und Grüne schlossen sich den Forderungen an. Die SPD erklärte, die Koalition sei bereits dabei, das Leben der Menschen zu verbessern.

Der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock nannte die Befunde der Studie alarmierend. Unabhängig von der eigenen Einkommenssituation sorgten sich beinahe 90 Prozent der Bevölkerung um den sozialen Zusammenhalt. Die große Mehrheit der Bürger habe das Vertrauen in den Sozialstaat verloren. Er forderte ein Umsteuern in der Sozialpolitik. Insbesondere für Langzeitarbeitslose und gegen die zunehmende Altersarmut müsse mehr getan werden.

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedroht

Den größten Reformbedarf sieht der Paritätische bei der Grundsicherung für Arbeitslose (Hartz IV). Fast drei Viertel der sechs Millionen Bezieher seien gar nicht erwerbslos, sondern Kinder, Erwerbsunfähige, Alleinerziehende, Aufstocker oder Langzeitarbeitslose mit besonderen Schwierigkeiten. Das Hartz-IV-System werde den meisten dieser Menschen nicht gerecht. Zielsetzung einer wirklichen Grundsicherung müsse sein, ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, forderte der Verband. Nach seinen Berechnungen sind dafür statt des Regelsatzes von 416 Euro im Monat mindestens 517 Euro notwendig.

Gegenläufig zur positiven Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung ist der Studie zufolge die Zahl der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen seit 2010 von knapp 7,2 auf knapp 7,9 Millionen gestiegen. Dafür sind nicht allein die Flüchtlinge verantwortlich - die Zahl der Armen steigt schon seit 2011 - vier Jahre, bevor Hunderttausende neu nach Deutschland kamen und seitdem zum Großteil auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nutzt nicht allen

Die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gehe seit Jahren an einem wachsenden Teil der Bevölkerung vorbei, resümierte Rosenbrock. Soziale Sorgen und Abstiegsängste seien weit verbreitet. Inzwischen seien so gut wie alle Menschen in ihrem Umfeld damit konfrontiert: ob es um eine bezahlbare Wohnung, einen Pflegefall in der Familie, einen Kindergartenplatz oder die Versorgung auf dem Land gehe. Er schlug ein Programm im Umfang von 50 Milliarden Euro vor für höhere Sozialleistungen und Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und erneuerte die Forderung seines Verbandes nach einer Vermögenssteuer zur Finanzierung höherer Sozialausgaben.

Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, unterstützte die Forderung. Bei den "Superreichen und Konzernen" müsse das abgeholt werden, was beispielsweise zur Bekämpfung der Kinderarmut notwendig sei. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, kritisierte, dass viele soziale Maßnahmen an den wirklich Bedürftigen vorbeigingen: Alleinerziehenden, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, werde beispielsweise das Kindergeld wieder abgezogen.

Die FDP warf dem Paritätischen vor, Ängste zu beklagen, die der Verband selbst schüre. Dem Sozialstaat mangele es nicht an Geld, sondern an Treffsicherheit, erklärte der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Pascal Kober. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Katja Mast, verwies dagegen auf erste Erfolge ihrer Partei: Brückenteilzeit, der soziale Arbeitsmarkt und ein Gesetz für eine bessere Kinderbetreuung gingen auf das Konto der SPD: "Wir bleiben dran", versicherte Mast.

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