Acht Jahre nach Bekanntwerden der Missbrauchsskandale stehen die Kirchen weiter in der Kritik. Die Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wirft ihnen mangelnde Menschlichkeit im Umgang mit den Betroffenen vor.
27.06.2018

Auf dem Podium Menschen, deren ganzes Leben vom Missbrauch durch einen Priester beeinflusst wurde - Betroffene und Bischöfe Auge in Auge - Bitterkeit, Mut und offene Worte: Das alles prägte das öffentliche Hearing über die Kirchen und ihre Verantwortung zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs am Mittwoch in Berlin. Im Zentrum standen die Berichte von Betroffenen. Die Kirchenvertreter hörten vor allem zu.

Es war das dritte öffentliche Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die Vorsitzende Sabine Andresen sagte, der Umgang der Kirchen mit den Betroffenen müsse die ganze Gesellschaft interessieren. Mit ihren Einrichtungen hätten die Kirchen einen starken Einfluss auf Kinder und Jugendliche in einer wichtigen Lebensphase.

Andresen kritisierte, den Kirchen habe es bisher allzu häufig an einer menschlichen Haltung im Umgang mit den Opfern von sexueller Gewalt und Missbrauch gefehlt. Sie hätten vielmehr "alles dafür getan", dass sich viele Betroffene gar nicht erst bei ihnen gemeldet hätten, sagte Andresen. Das sei ein Grund dafür, warum bis heute das tatsächliche Ausmaß der Missbrauchsskandale nicht bekannt sei. Andresen forderte von der evangelischen und katholischen Kirche, auf die Betroffenen zuzugehen und jeweils eine zentrale, unabhängige Anlaufstelle einzurichten, die leicht zu finden sei. In beiden Kirchen fehle es noch immer an Transparenz bei dem Thema.

Emotional kaltes Elternhaus

Sexuelle Gewalt in Kirchenzusammenhängen, so eine Auswertung von Anhörungen vor der Aufarbeitungskommission, wird in fast allen Fällen durch die Haltung der Eltern begünstigt. Entweder kamen die Kinder und Jugendlichen aus Familien mit vielen Problemen oder aus besonders frommen Elternhäusern, die ihre Kinder in besten Händen sahen. Die Buchautorin Claudia Mönius schilderte, wie sie dem emotional kalten Elternhaus in die katholische Gemeinde ihres Ortes entfloh und an einen Priester geriet, der sie von ihrem elften bis zum 16. Lebensjahr missbrauchte.

Der Soziologe Heiner Keupp, der der Aufarbeitungskommission angehört, verglich die Strategie der Kirchen bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs mit denen der Autoindustrie in der Diesel-Affäre. Es sei in der Vergangenheit immer nur das untersucht worden, was Betroffene ans Licht befördert hätten. Keupp forderte die Kirchen auf, eigene Aufarbeitungsprojekte zu starten und Strukturen zu verändern, die den Machtmissbrauch begünstigten.

"Tief erschüttert"

Die evangelische Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist, sagte, die EKD habe sich in einer Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung dazu verpflichtet, flächendeckend Schutzkonzepte einzuführen. Entscheidend sei aber, dass die Kirchen in ihrer inneren Haltung Ernst machten mit der Aufklärung und gegen den Reflex angingen, zuerst die Institution schützen zu wollen: "Es geht um Opferschutz", sagte Fehrs. Sie sei "tief erschüttert" über die Berichte der Betroffenen. Fehrs zufolge haben zehn der zwanzig evangelischen Landeskirchen inzwischen unabhängige Kommissionen eingerichtet, an die sich Betroffene wenden und auch finanzielle Hilfen beantragen können.

Neben Fehrs war auch der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Bischofskonferenz und Trierer Bischof, Stephan Ackermann, zu dem Hearing eingeladen. Die katholische Kirche will im September einen Forschungsbericht zu den überwiegend 2010 öffentlich gewordenen Missbrauchsskandalen veröffentlichen.

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