Berlin (epd). "Die Bundesregierung sollte weiter laut bleiben und sich von dem diplomatischen Tauwetter mit der Türkei nicht täuschen lassen", sagte der Geschäftsführer der deutschen Sektion der Journalistenorganisation, Christian Mihr, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Die Regierung dürfe nicht das Signal aussenden, dass mit der Freilassung von Deniz Yücel alle Probleme gelöst seien.
"Sicherlich muss man Gesprächskanäle offen lassen. Aber gegenüber einem Land, das weiter in die Europäische Union möchte, muss man eine ganz klare Sprache sprechen und Bedingungen formulieren", betonte Mihr. "Mit der Freilassung von Yücel hat sich an der Situation der inhaftierten Menschenrechtsaktivisten und Journalisten erst einmal nichts geändert", ergänzte er.
Ohne Ausreisesperre
Der "Welt"-Korrespondent Yücel war am Freitag nach knapp einem Jahr in türkischer Haft freigelassen worden. Vorangegangen war ein diplomatisches Ringen zwischen Deutschland und der Türkei. Ein Istanbuler Gericht nahm die Anklage gegen Yücel wegen "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" an. Dafür drohen dem deutsch-türkischen Journalisten bis zu 18 Jahre Gefängnis. Gleichzeitig verfügten die Richter Yücels Entlassung aus der Untersuchungshaft, ohne eine Ausreisesperre zu verhängen. Einen ersten Verhandlungstermin hat das Gericht Medienberichten zufolge für den 28. Juni angesetzt.
"Aufmerksamkeit hochhalten"
Am Freitag verurteilte ein Gericht auch drei in der Türkei prominente Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen. Ihnen wird vorgeworfen, sich an dem Putschversuch im Juli 2016 beteiligt zu haben. Mihr sagte, in den nächsten Wochen stünden viele weitere Urteile gegen Journalisten an, die vermutlich harsch ausfallen würden. "Kurzfristig rechne ich mit einer dramatischen Verschärfung der Repressionen", sagte er: "Und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir die Aufmerksamkeit hochhalten."
Nach Yücels Freilassung sitzen laut der türkischen Medienplattform P24 noch 155 Journalisten und Mitarbeiter von Medienhäusern in der Türkei im Gefängnis.
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