Der türkische Journalist Can Dündar: "Wer Erdogan herausfordert, ist nirgendwo sicher."
epd-bild/Juergen Blume
Wegen Morddrohungen braucht er Polizeischutz. Der türkische Journalist und Erdogan-Kritiker Can Dündar lebt seit eineinhalb Jahren in Deutschland. In einem Gespräch mit dem epd erzählt er über die Situation der Journalisten in der Türkei und warnt vor "schmutzigen Deals".
25.01.2018

epd: Herr Dündar, vor elf Jahren wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink in Istanbul auf offener Straße erschossen. Heute sind Dutzende Journalisten in türkischen Gefängnissen und viele andere - wie auch Sie - im Exil. Wie haben Sie die Entwicklung in der Türkei im vergangenen Jahrzehnt erlebt?

Dündar: Hrant Dink war einer der mutigsten Journalisten, der die Regierung herausgefordert hat - das brachte ihm leider den Tod. Für Journalisten war die Türkei schon immer ein gefährliches Land - das war vor 100 Jahren und auch vor zehn Jahren so. Unser Kampf besteht darin, diese Tatsache in den kommenden zehn Jahren zu ändern. Doch leider haben die Menschen Angst. Und das lähmende Gefühl der Angst ist noch viel gefährlicher, als es jede Regierung sein kann.

"Hinsetzen und einfach nur warten"

epd: Menschen im Exil sagen häufig, sie fühlten sich wie in einer Warteschleife. Geht es Ihnen auch so?

Dündar: Ja - wir fühlen uns wie in einem Wartesaal. Aber wir wollen uns nicht hinsetzen und einfach nur warten. Wir versuchen, aus unserem Wartesaal einen Raum der Vorbereitung zu machen, in dem wir uns auf die Zukunft der Türkei vorbereiten. Erdogan wird irgendwann gehen. Und dann müssen wir das Land neu organisieren: im Bildungsbereich, beim Militär, Außenbeziehungen, Medien - das alles muss neu definiert werden. Und dafür wollen wir gewappnet sein.

epd: Wie machen Sie das?

Dündar: Wir Akademiker und Intellektuelle kommen regelmäßig zusammen, um über solche Zukunftsfragen nachzudenken. Unter der Marke "Özgürüz", was bedeutet: "wir sind frei", betreiben wir eine Plattform im Internet, geben ein Monatsmagazin heraus sowie Bücher, die in der Türkei verboten sind. Gerade arbeiten wir an einem Radiosender. Wir wollen Informationen liefern, für die Menschen in der Türkei sowie für die türkische Gemeinschaft in Deutschland.

epd: Wegen Morddrohungen müssen Sie von mehreren Personenschützern des Landeskriminalamts bewacht werden. Wie sicher fühlen Sie sich überhaupt in Deutschland?

Dündar: Wenn du eine Regierung wie die türkische herausforderst, dann bist du nirgendwo auf der Welt sicher. Sie versuchen ihre Gegner zu bestrafen und wenn sie das nicht können, drohen sie. Und für diese Praxis haben sie insbesondere in Deutschland genügend Unterstützer. Die Polarisierung in der türkischen Gesellschaft ist inzwischen auch bei den in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund angekommen.

"Geisel der türkischen Regierung"

epd: Wie sieht die Medienlandschaft in der Türkei heute angesichts der Repressionen vonseiten der Regierung aus?

Dündar: Es sind kaum noch Journalisten übrig, die mutig genug sind, die Wahrheit zu schreiben. Erdogan hat sich seine eigene Medienwelt zusammengebastelt. Anstelle erfahrener Journalisten kommen Neulinge hoch, die ich nicht mehr als Journalisten bezeichnen würde, und die Erdogan unterstützen.

epd: Einige Ihrer Kollegen von der Zeitung "Cumhuriyet" sind nach wie vor in Haft.

Dündar: Sie sind eine Art Geisel der türkischen Regierung. Wenn die eigenen Freunde im Gefängnis sind, ist es auch in einem freien Land wie Deutschland nicht einfach, Artikel zu veröffentlichen. Ich überlege immer zweimal, was ich schreibe, damit ich sie nicht in Gefahr bringe. Ich fürchte, auch das ist eine Art von Zensur.

epd: Der Korrespondent der deutschen Zeitung "Die Welt", Deniz Yücel, sitzt seit fast einem Jahr in türkischer Haft. Ist er in Ihren Augen auch eine Art Geisel, um zum Beispiel Rüstungsdeals zu erzwingen?

Dündar: Erdogan will, da bin ich mir sicher, ein Geschäft vorschlagen, wie er es in der Vergangenheit schon getan hat. Es kann sein dass da ein "schmutziger Deal" sein wird. Das ist etwas Schreckliches, sowohl für das Bild der Türkei, für Deutschland und natürlich auch für Deniz Yücel, der gegen solche Geschäfte ankämpft. Deutschland sollte seine Werte nicht opfern. Wenn Berlin einen "schmutzigen Deal" mit Erdogan eingeht, wird er womöglich noch ermutigt, wieder Journalisten als Geiseln zu nehmen, wenn er Deutschland zu neuen Geschäften zwingen will.

Hoffen auf Rückkehr

epd: Wann wäre für Sie der Zeitpunkt, in die Türkei zurückzukehren?

Dündar: Wenn Erdogan weg ist. Ich hoffe, das wird nicht mehr allzu lange dauern. Ohne Erdogan wird es eine neue Türkei geben. Denn das derzeitige System kann ohne ihn nicht weiterexistieren. Es gibt keine Nummer Zwei. Er hat sie alle vernichtet.

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