Inzwischen liegt der Mindestlohn bei 8,84 Euro.
epd-bild/Norbert Neetz
Mehr Menschen als bislang bekannt haben einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren unterhalb des Mindestlohns gearbeitet. Die gesetzliche Lohnuntergrenze wurde zum 1. Januar 2015 eingeführt.
06.12.2017

Rund 1,8 Millionen Menschen haben einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge 2016 keinen Mindestlohn erhalten, obwohl sie einen Rechtsanspruch darauf hatten. Laut DIW-Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, wurden 2015, also im Jahr der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, 2,1 Millionen Beschäftigte unterhalb der gesetzlich festgelegten Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde bezahlt. Die "Süddeutsche Zeitung" (Mittwoch) hatte zuerst über die Ergebnisse der Untersuchung berichtet. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte, die Unternehmen schärfer zu kontrollieren.

Höher als Zahlen der Mindestlohnkommission

Die Zahlen des DIW liegen deutlich über den offiziellen Angaben der Mindestlohnkommission, die von der Bundesregierung eingesetzt wurde. Diese hatte in ihrem bislang einzigen Bericht über die "Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns" angegeben, dass 2015 nur 1,4 Millionen Menschen unterhalb eines Stundenlohns von 8,50 Euro gearbeitet hätten.

Das Forschungsinstitut erklärt diese Differenz mit der unterschiedlichen Erhebung der Zahlen. Während sich die Mindestlohnkommission auf Ergebnisse der sogenannten Verdienststruktur-Erhebung beruft, also auf die Angaben aus den Lohnbuchhaltungen der Betriebe, haben die DIW-Forscher die Beschäftigten selbst befragt. In ihrem sogenannten sozio-ökonomischen Panel berichten Arbeitnehmer aus 11.000 Haushalten jedes Jahr, wie viel sie arbeiten und was sie verdienen.

"Existenz eines großen Niedrigeinkommensbereichs"

Aus Angaben zu ihren tatsächlichen Arbeitszeiten, die nicht vertraglich festgehalten sind, ergebe sich eine noch höhere Zahl von Menschen, die unterhalb des Mindestlohns arbeiten, heißt es in dem Bericht. Im Jahr 2016 hätten 2,6 Millionen Erwerbstätige weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Schließt man die Beschäftigten ein, für die branchenspezifische Mindestlöhne gelten, waren es laut DIW im vergangenen Jahr sogar 3,3 Millionen Menschen und damit zehn Prozent aller Beschäftigten.

Viele Erwerbstätige fallen nicht unter die gesetzlichen Mindestlohnregeln, insbesondere Selbstständige und Auszubildende wie auch Beschäftigte in den Branchen, in denen längere Übergangsfristen verabredet wurden. Rechnet man diese dazu, so verdienten im Jahr 2016 auf Basis ihrer vertraglichen Arbeitszeit insgesamt 4,4 Millionen, auf Basis ihre tatsächlichen Arbeitszeit sogar 6,7 Millionen Erwerbstätige unter 8,50 Euro pro Stunde, heißt es in der Studie. "Sie belegen die Existenz eines großen Niedrigeinkommensbereichs in Deutschland", schreiben die Autoren.

Handlungsbedarf

Die Wissenschaftler sehen politischen Handlungsbedarf und fordern, von den Arbeitgebern eine strengere Dokumentation zu verlangen sowie die Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu verschärfen. "Eine striktere Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten würde womöglich auch für die Effizienz der Kontrollen erhöhen", heißt es in der Studie.

Der DGB forderte ebenfalls, die Rahmenbedingungen für Kontrollen zu verbessern. "Dazu zählt deutlich mehr Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit", erklärte DGB-Vorstand Stefan Körzell. Ferner beklagte er, dass die Dokumentationspflichten der Unternehmen zu viel Spielraum für Manipulation ließen.

Trotz der Defizite kommen die Forscher insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns "den niedrigen Löhnen einen starken Schub gegeben hat". So seien bei den zehn Prozent der Beschäftigten, die am wenigsten verdienen, die Löhne zwischen 2014 und 2016 um 15 Prozent gestiegen. In den Jahren vor 2014 hätten die zweijährigen Lohnwachstumsraten für diese Beschäftigten bei rund zwei Prozent gelegen.

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