Kardinal Gerhard Ludwig Müller
epd-bild / Cristian Gennari
Bei den Regensburger Domspatzen wurden laut Abschlussbericht einer zweijährigen Untersuchung jahrzehntelang Schüler geschlagen und sexuell missbraucht. Doch die Aufarbeitung der Vorfälle scheint noch lange nicht abgeschlossen.
20.07.2017

Kardinal Gerhard Ludwig Müller steht auch nach Vorlage des Abschlussberichts zu den Misshandlungsfällen bei den Regensburger Domspatzen weiter in der Kritik: Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, reagierte mit Unverständnis auf Müllers Abwehr der Vorwürfe. "Es tut mir für die Opfer der Gewalttaten bei den Regensburger Domspatzen außerordentlich leid, dass Kardinal Müller jetzt erneut die Chance verpasst, empathisch und mitfühlend zu reagieren", teilte Rörig am Donnerstag mit. Er vermisse ein "Signal der Wertschätzung und Anerkennung insbesondere für die Betroffenen", denen es maßgeblich zu verdanken sei, dass der Aufarbeitungsprozess nach jahrelangem Ringen jetzt eine positive Entwicklung genommen habe.

Einzelfälle statt strukturelle Versäumnisse

Rörig hatte nach Vorstellung des Abschlussberichts dem früheren Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller vorgeworfen, eine umfassende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen versäumt zu haben. "Müller hat stets von Einzelfällen gesprochen, aber die strukturellen Versäumnisse nicht untersucht", sagte Rörig. "Es wäre den Betroffenen zu wünschen, dass er sich wenigstens jetzt für die verschleppte Aufarbeitung entschuldigen würde."

Kardinal Müller wies Rörigs Vorwurf vehement zurück. Er, Müller, habe "erstmals diese Aufklärungsarbeit an die Institutionen des Bistums übertragen, so dass mit der Untersuchung begonnen werden konnte", sagte Müller der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag). Deshalb müsse der Missbrauchsbeauftragte sich nun bei ihm entschuldigen, forderte der Kardinal, der von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg war. Das Bistum Regensburg wollte sich am Donnerstag auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) nicht zu den Vorwürfen äußern.

Verharmlosende Äußerung

Auch der Kinderschutzbund in Bayern kritisierte Kardinal Müller scharf. Mit Blick auf den bekannten Satz "Eine Ohrfeige hat noch nie jemandem geschadet" sagte die pädagogische Geschäftsführerin Margot Czekal dem epd am Donnerstag: "Eine Ohrfeige hat aber auch noch nie jemandem genutzt." Damit reagierte sie auf die verharmlosende Äußerung Müllers im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" vom Donnerstag. Müller hatte der Zeitung gesagt, dass er selbst während seiner Schulzeit geschlagen wurde. "Freilich muss ich zugeben: Sexueller Missbrauch ist noch eine ganz andere Kategorie als pädagogische Übergriffe."

Eine solche Aussage ist für Czekal nicht hinnehmbar: "'Pädagogik' und 'Übergriffe' schließen sich aus." Der Begriff "pädagogischer Übergriff" existiere nicht in der Fachwelt. Dass Kardinal Müller selbst als Kind geschlagen wurde, sei keine Entschuldigung. Von einem kirchlichen Würdenträger sei zu erwarten, dass er im Laufe seines Lebens seine Haltung überdenkt. Immerhin sei das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung bereits seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert.

Geschlagen und sexuell missbraucht

Der für die Aufklärung der Missbrauchs- und Misshandlungsfälle zuständige Rechtsanwalt Ulrich Weber hatte ebenfalls Vorwürfe gegen den heutigen Kardinal Müller erhoben, der die Aufarbeitung bei Bekanntwerden des Skandals 2010 in die Wege geleitet hatte. Die Aufarbeitung sei mit vielen Schwächen behaftet gewesen, etwa weil man nicht den Dialog mit Opfern gesucht habe. Eine klare Verantwortung für die strategischen, organisatorischen und kommunikativen Schwächen müsse deshalb Müller zugeschrieben werden, sagte Weber.

Am Dienstag hatte Weber in Regensburg den Abschlussbericht einer zweijährigen Untersuchung vorgelegt. Daraus geht hervor, dass bei den Regensburger Domspatzen jahrzehntelang Schüler geschlagen und sexuell missbraucht wurden. Rund 500 Sänger wurden Opfer von körperlicher Gewalt, 67 waren von sexueller Gewalt betroffen.

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