Sigmar Gabriel (SPD) (Archivbild)
epd-bild / Andreas Schoelzel
Mit der Verhaftung von Menschenrechtlern hat Ankara die deutsche Dialogbereitschaft überreizt. Wer unbescholtene Besucher seines Landes "unter abwegigen Beschuldigungen" verhafte, verlasse den Boden europäischer Werte, sagt Außenminister Gabriel.
20.07.2017

In der Krise mit der Türkei will die Bundesregierung ihre Politik neu ausrichten. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte am Donnerstag in Berlin, in einem ersten Schritt habe das Auswärtige Amt die Sicherheits- und Reisehinweise für Reisen in die Türkei verschärft. Anlass sei die Inhaftierung von Menschenrechtlern, darunter des Deutschen Peter Steudtner. Außerdem prüft die Regierung wirtschaftliche und finanzielle Konsequenzen. Die Opposition bewertete den Kurswechsel als Scheitern der bisherigen Politik. Die Türkische Gemeinde begrüßte Gabriels Ankündigungen.

"Notwendig und unabdingbar"

Gabriel betonte, die Schritte seien mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgesprochen. Merkels Sprecher Steffen Seibert bezeichnete die Maßnahmen gegenüber der Türkei angesichts der Entwicklung als notwendig und unabdingbar. Als Grund für die bisherige Dialogbereitschaft Berlins nannte der Außenminister die Hoffnung, die Eskalation im Verhältnis beider Länder dämpfen und die Türkei als wichtigen Partner halten zu können: "Wieder und wieder haben wir darauf gesetzt, dass schon irgendwann die Vernunft wieder einkehren wird und wir zu gedeihlichen Beziehungen zurückfinden können", sagte Gabriel: "Wieder und wieder sind wir allerdings auch enttäuscht worden."

Wer unbescholtene Besucher seines Landes "unter abwegigen Beschuldigungen" festnehme und in Untersuchungshaft bringen lasse, "der verlässt den Boden europäischer Werte", sagte der Außenminister. Nunmehr sei jeder Deutsche, der in die Türkei reise, in der Gefahr, wegen Terrorverdachts verhaftet zu werden.

Keine Rechtssicherheit

In wirtschaftlicher Hinsicht will Berlin die Hermes-Bürgschaften überprüfen, mit denen die Bundesrepublik Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei gegen Zahlungsausfälle absichert. Gabriel sagte, man könne nicht zu Investitionen in einem Land raten, in dem es keine Rechtssicherheit gebe. Mit den europäischen Partnern will die Bundesregierung über die Zahlungen der EU an Ankara reden. Es handelt sich um Gelder im Vorgriff auf einen möglichen EU-Beitritt.

Gabriel wertete die Verhaftung der Menschenrechtler als weitere Eskalation. Steudtner sei weder ein Türkei-Experte, geschweige denn als Kritiker der türkischen Politik in Erscheinung getreten. Die Terrorismus-Vorwürfe gegen ihn seien "an den Haaren herbeigezogen und offensichtlich unbegründet". Steudtner hatte als IT-Experte an einem Menschenrechts-Seminar teilgenommen. Außer ihm waren Anfang Juli neun weitere Personen festgenommen worden, darunter die Direktorin von Amnesty International Türkei.

Den Vorwurf Ankaras, Berlin mische sich in innere Angelegenheiten der Türkei ein, wies Gabriel zurück. Es handele sich, wie auch bei den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu, um deutsche Staatsbürger. Am Mittwoch war wegen der Überführung von Steudtner in Untersuchungshaft der türkische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt worden.

Klare Kante

Die EU-Kommission kritisierte die Haft für die Menschenrechtler in der Türkei scharf. "Wir fordern die unverzügliche Freilassung dieser Leute", sagte der Chefsprecher der Behörde, Margaritis Schinas, in Brüssel. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), erklärte die Türkei-Politik der Koalition in Berlin für gescheitert. Wohlmeinende Reisehinweise reichten nicht aus. Er forderte, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort zu beenden. In Berlin forderte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Dietmar Bartsch, die Waffenexporte an die Türkei umgehend zu stoppen und die sogenannten Vorbeitrittshilfen der EU in Höhe von 630 Millionen Euro jährlich einzufrieren.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland sieht im Kurswechsel der Bundesregierung hingegen einen Fortschritt. Es sei angebracht, gegenüber der türkischen Regierung klare Kante zu zeigen, sagte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Freitag). Andernfalls verliere Deutschland seine Glaubwürdigkeit.

Teaserbild