Pflege
epd-bild/Andrea Enderlein
Jeder zehnte Pflegehaushalt ist auf eine Helferin aus Osteuropa angewiesen. Doch Forscher bemängeln, dass die Arbeitsmigrantinnen bei Lohn und Arbeitszeit das Nachsehen haben. Sie sehen die Politik vor einem Dilemma.
07.06.2017

Bei der Pflege in den eigenen vier Wänden schultern Angehörige einer Studie zufolge den Löwenanteil. Mehr als die Hälfte aller Pflegehaushalte in Deutschland verzichtet komplett auf professionelle Hilfe, wie aus der am Mittwoch in Düsseldorf veröffentlichen Erhebung im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht. In jeder fünften Familie übernehme eine "Hauptpflegeperson" die Arbeit allein. Knapp jeder zehnte Pflegehaushalt beschäftigt den Angaben nach eine Hilfskraft, die mit in der Wohnung lebt, Tendenz steigend. In aller Regel handelt es sich dabei um osteuropäische Arbeitsmigrantinnen. Insgesamt werden gut 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt.

Angehörige oft ohne Erwerbsarbeit

Die Pflege daheim ist laut Studie oft mehr als ein Vollzeitjob: Im Schnitt fallen 63 Stunden pro Woche unter anderem für Waschen, Hilfe beim Essen und im Haushalt an. Fast 50 Stunden davon übernehmen die Hauptpflegepersonen, zumeist Ehefrauen, Töchter oder Schwiegertöchter. Lediglich ein Drittel der Hauptpflegepersonen ist männlich, allerdings mit steigender Tendenz. Nur zehn Prozent der Arbeiten leisten professionelle Dienste, wie es hieß. Selbst bei hilfsbedürftigen Älteren ohne Pflegestufe fallen den Angaben zufolge vier Stunden Arbeit am Tag für die betreuenden Angehörigen an.

Für die Studie befragten Wissenschaftler am Iso-Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken im Auftrag der Böckler-Stiftung bundesweit mehr als 1.000 Haushalte, in denen Pflegebedürftige ab 65 Jahren leben - mit und ohne Einstufung in der Pflegeversicherung.

Die Verzahnung von Pflege und Arbeitsmarkt klappe noch nicht gut, bemängelten die Autoren. So seien drei Viertel der pflegenden Angehörigen gar nicht oder in Teilzeit erwerbstätig. Die Pflegenden riskierten damit, im Alter selber mit wenig Geld dazustehen. Die gesetzliche Pflegezeit nutzten lediglich sechs Prozent der berufstätigen Hauptpflegepersonen.

Zu den zeitlichen Belastungen kommen der Studie zufolge erhebliche finanzielle Aufwendungen, etwa für Aufwandsentschädigungen und Fahrtkosten von Helfern, Zuzahlungen für Pflegedienste, Tagespflege, Hilfsmittel und Medikamente oder für einen Menüdienst. Im Durchschnitt aller Pflegehaushalte ermittelten die Forscher rund 360 Euro an monatlichen Ausgaben, die nicht durch sogenannte Sachleistungen der Pflegeversicherung ersetzt werden.

Pflege hängt von sozialem Hintergrund ab

Die Pflegerin im Haushalt sei ein Modell für Besserverdienende, hieß es in der Studie. Allerdings scheine "in der Praxis eine den arbeitsrechtlichen Mindeststandards entsprechende Beschäftigung dieser Kräfte kaum realisierbar", schrieben die Autoren Volker Hielscher, Sabine Kirchen-Peters und Lukas Nock. Sie sprachen von einem Dilemma: Würde die Politik stärker kontrollieren, um die Einhaltung von Mindestlohn und Arbeitszeitbestimmungen sicherzustellen, würde sich die häusliche Rundumpflege weiter verteuern und die soziale Spaltung noch verstärken.

Ob Pflegende die nötige Unterstützung erhalten, hängt laut Erhebung stark vom sozialen Hintergrund ab. Auffällig sei, dass Pflegebedürftige in einkommensstarken Haushalten oft in höhere Pflegestufen eingruppiert seien als solche aus sozial schwächeren Kreisen. Vermutlich gelinge es Angehörigen höherer Schichten besser, gegenüber der Pflegeversicherung einen größeren Bedarf geltend zu machen, hieß es.

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