Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zoellner
Die Leitkultur-Thesen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière sorgen weiter für Schlagabtausch. Vertreter der Zivilgesellschaft reagieren verärgert. Sie hatten eine eigene Initiative gegründet, de Maizière mit an den Tisch geholt und fühlen sich nun übergangen.
02.05.2017

Die Thesen von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über eine deutsche Leitkultur sorgen auch bei Vertretern von Zivilgesellschaft und Kirchen für Verärgerung. Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, sagte am Dienstag dem epd, die vom Minister benutzte Schärfe und Polarisierung sei nicht hilfreich für die Debatte. Gerade der Griff zum Wort "Leitkultur" sei außerdem wenig geeignet, eine offene Debatte zu eröffnen. Ähnliche Kritik kam vom Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann. "Wer dieses Wort benutzt, zerdeppert und zerstört alles, was er danach sagt", sagte er dem Internetportal evangelisch.de.

"Leitkultur" nicht benutzen

Claussen sagte, er halte von diesem Wort nichts. "Es ist nicht mit klaren Inhalten verbunden, sondern nur ein politisches Schlagwort, das den kulturellen Dominanzanspruch einer Partei formulieren soll", kritisierte der Theologe und ergänzte: "Kultur ist ein Bereich von sich entfaltender Freiheit und sollte nicht in dieser Weise festgezurrt werden."

Für Verärgerung sorgt bei Claussen und Zimmermann der Beitrag de Maizières vor dem Hintergrund der "Initiative kulturelle Integration", die über Monate hinweg selbst Thesen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt erarbeitet hat und am 16. Mai präsentieren will. Einer der "Unterstützer der ersten Stunde" ist Innenminister de Maizière, wie Zimmermann sagte. In der ersten Sitzung sei beschlossen worden, das Wort "Leitkultur" nicht zu benutzen. Claussen sagte, vor dem Hintergrund dieser Initiative habe er sich über den Beitrag von de Maizière geärgert: "Ich finde ich es nicht nachvollziehbar und bedauerlich, dass er dem vorgreift, darauf nicht einmal Bezug nimmt und stattdessen eigene Thesen in der 'Bild'-Zeitung veröffentlicht."

"Klare Umsetzung"

Auch in der eigenen Partei sorgt de Maizière mit seinem Debattenbeitrag für heftige Diskussionen. Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz sagte im Deutschlandfunk, man solle für eine Kultur des Zusammenlebens werben. Den Begriff "Leitkultur" lehnte auch er ab, "weil er in eine vielfältige, bunte, vor allem pluralistische Gesellschaft, eine freiheitliche Gesellschaft nicht passt".

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verteidigte dagegen de Maizière. Der Bundesinnenminister habe Recht, "die Notwendigkeit einer deutschen Leitkultur hervorzuheben", sagte er der Tageszeitung "Die Welt" (Dienstag) und ergänzte: "Wir brauchen aber nicht nur Worte, sondern auch eine klare Umsetzung: Wer sich als Zuwanderer nicht in Deutschland integrieren will, muss in letzter Konsequenz unser Land verlassen." Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet begrüßte im Sender Bayern 2 die Diskussion um Werte. Es gehe nicht nur um Zugewanderte und Flüchtlinge, betonte Laschet, sondern um das generelle Miteinander. "Da ist vieles an Verrohung in den letzten Jahren eingetreten", sagte er.

Zehn-Punkte-Katalog

Kritik an den Leitkultur-Thesen kam auch weiter aus anderen Parteien. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte der "Süddeutschen Zeitung" (Dienstag): "Die deutsche Leitkultur ist Freiheit, Gerechtigkeit, und ein gutes Miteinander, so wie es im Grundgesetz steht." Die Linkenpolitikerin Ulla Jelpke warf de Maizière vor, Millionen Zuwanderern mit eigener kultureller und geschichtlicher Erfahrung vor den Kopf zu stoßen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), sprach von "hilflosen Benimmregeln" des Innenministers. "Es gibt keine faktisch einheitliche Kultur, die uns alle leiten würde", sagte Özoguz dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland".

De Maizière hatte in der "Bild am Sonntag" einen Zehn-Punkte-Katalog zur deutschen Leitkultur veröffentlicht. Darin schreibt er: "Über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten zusammenhält, was uns ausmacht und was uns von anderen unterscheidet." Der Minister hob darin unter anderem soziale Gewohnheiten sowie die Bedeutung von Bildung, Kultur und Religion hervor.