Justitia auf dem Römerberg in Frankfurt am Main
epd-bild/Heike Lyding
Vorläufiges Ende im Streit zwischen der NPD und dem Extremismusforscher Kailitz: Der Wissenschaftler bekommt vor Gericht Recht. Er darf seine Einschätzungen weiter frei äußern. Die NPD scheitert mit ihrer Klage an der Meinungsfreiheit.
28.04.2017

Der Dresdner Wissenschaftler Steffen Kailitz darf weiter seine Einschätzungen über die rechtsextreme NPD veröffentlichen. Das Landgericht Dresden wies am Freitag eine Klage ab, mit der die NPD gegen den Wissenschaftler vorgegangen war. Die Partei wollte ihm bestimmte NPD-kritische Äußerungen untersagen, die Kailitz in einem Artikel im April 2016 für "Die Zeit" geschrieben hatte.

Keine Rechtsverletzung

Seine Einschätzungen seien keine Tatsachenbehauptungen, sondern Meinungsäußerungen und daher mit der im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit gedeckt, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht Dresden, Christoph Wittenstein, bei der Urteilsverkündung. Aus Sicht der Richter hätten sie "einen wertenden Charakter". Damit folgte das Dresdner Gericht einer zuvor vom Berliner Landgericht gefällten Entscheidung, die ebenfalls keine Rechtsverletzung in Kailitz' Äußerungen sah.

Im Kern ging es um die Formulierungen, die NPD plane "rassistisch motivierte Staatsverbrechen" und wolle "acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben". Zudem hatte Kailitz der Partei attestiert, sie wolle "die demokratische Grundordnung Deutschlands durch eine völkische Diktatur" ersetzen. Der Wissenschaftler war einer der Sachverständigen im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

Eine "Behauptung ins Blaue hinein und eine fehlende wissenschaftliche Qualifikation sehen wir nicht", sagte Wittenstein. Es gelte, die freie Rede zu schützen. Eine Partei, die sich wie die NPD im öffentlichen Meinungskampf befindet, "muss scharfe, pointierte Äußerungen hinnehmen", sagte der Richter. Gegen das Urteil kann Berufung beim Oberlandesgericht Dresden eingelegt werden.

NPD nicht vor Ort

Kailitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Er äußerte sich positiv zum Urteil. Es sei eine "Genugtuung", dass die NPD das Grundgesetz nicht "aushebeln kann", sagte er. Bis zu der gegen ihn zwischenzeitlich verhängten Verfügung, habe er es nicht für möglich gehalten, dass gegen wissenschaftliche Erkenntnisse Verfügungen verhängt werden könnten. Ihm sei jetzt aber wichtig, in der Sache "einen Abschluss zu finden".

Der Wissenschaftler durfte nach einer einstweiligen Verfügung seine Äußerungen zunächst nicht wiederholen. Andernfalls drohten ihm 250.000 Ordnungsgeld oder ein halbes Jahr Haft. Der Dresdner Richter Jens Maier, der der AfD angehört, hatte Kailitz‘ Äußerungen als Tatsachenbehauptung gewertet und sie dem Wissenschaftler untersagt. Als Einzelrichter und ohne mündliche Verhandlung entsprach er damit am 10. Mai 2016 der Forderung der NPD.

Das Gericht hob die Verfügung jedoch einen Monat später wieder auf, weil in einer mündlichen Verhandlung klar wurde, dass der NPD ähnliche Äußerungen von Kailitz schon seit Jahren bekannt sind. In Dresden wurde nun zur Hauptsache verhandelt. Zur Urteilsverkündung am Freitag erschien die NPD nicht.

Um seine Rechte zu stärken, hatte Kailitz ein Verfahren vor dem Berliner Landgericht angestrengt. In einer sogenannten negativen Feststellungsklage trat der Wissenschaftler als Kläger gegen die NPD auf, weil nach seiner Auffassung der Partei kein Abwehrrecht zu Äußerungen zusteht. Das Berliner Gericht entschied, dass Kailitz' Einschätzung durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei und keine Rechtsverletzung vorliege.

Richter Jens Maier war nicht mehr an dem Dresdner Verfahren beteiligt. Ihm wurde zudem die Zuständigkeit für Verfahren des Presse- und Medienrechts entzogen.