Kirchgang - Stiftskirche Tübingen
Tübinger Altstadt mit Stiftskirche
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So viele Hüte am späten Morgen
Unter dem Motto "Lichtblick" fand im Advent der Hochschulgottesdienst in Tübingen statt. Protestanten und Katholiken feierten zusammen.
03.01.2023

Stiftskirche Tübingen, Sonntag, 11 Uhr: Auf dem gepflasterten Platz vor der gotischen Kirche treffen sich Kopfbedeckungen verschiedenster Art – ein roter Fahrradhelm, die Mützen von Verbindungsstudenten in Lila und Schwarz, ein Borsalinohut mit breiter Krempe. Der Hochschulgot­tesdienst beginnt um 11 Uhr.

Seit ich selbst Student war, schätze ich diese Zeit – es gibt Menschen, die nicht gern früh aufstehen, schon gar nicht am Sonntag. Beim Eintritt in das hohe Kirchenschiff nehmen alle ihre Kopfbedeckun­gen ab, außer einer Ordensschwester, sie setzt sich mit ihrer blauen Haube in das Mittelschiff.

Am Adventskranz brennt die erste Kerze. Der Beginn des neuen Kirchenjahrs wird ökumenisch gefeiert. Das gibt gleich einen starken Kontrast, als zwei Frauen an den Altar treten: Die evangelische Hochschulpfarrerin Inge Kirsner steht im schwarzen Talar ­neben der katholischen Hochschulseelsorgerin Kerstin Schelk­le in weißer Albe. Den Gottesdienst stellen sie unter das Thema "Lichtblicke". Auf den Bänken ­liegen Zettel und Stifte. Wer mag, kann aufschreiben, was sein ­Leben hell gemacht hat.

Das Gebet führt in das Dunkel dieser Welt. Der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel, die Bedrohung Taiwans – Inge Kirsner bringt die großen Krisen vor Gott und die Gemeinde. Und noch eine: "Die unseligen Wettkämpfe in ­Katar". Hm. Gehört die fragwürdige Fußballweltmeisterschaft in eine Reihe mit existenziellen Bedrohungen? Sind der Pfarrerin die Dimensionen verrutscht?

Die Stiftskirche steht für die protestantische Tradition dieser Stadt. In wahrhaft ökumenischem Geist überlässt Kirsner das Herzstück des evangelischen Gottesdienstes ihrer katholischen Kollegin. Sie predigt im Dialog mit einer Studentin, die sagt: "Gegenseitige Bestärkung spielt in meinem Leben eine große Rolle: Hey, du schaffst es!"

Schelkle benennt einen konkreten Lichtblick: In der Katholischen Hochschulgemeinde sind die Toiletten jetzt nicht mehr ­binär getrennt. Nach der Predigt nimmt der Bürger, dessen Examen schon länger zurückliegt, seinen Borsalino in die Hand und geht. Das fällt auf, weil in der großen Universitätsstadt nur 70 Menschen den Hochschulgottesdienst besuchen.

Wer will, darf am Ausgang aus einem Korb einen Lichtblick ­ziehen. Auf meinem Zettel steht ein Vers aus dem Hohelied Salomos: "Da ist die Stimme meines Freundes! Siehe, er kommt und springt über die Hügel."

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