Vom Himmel erschlagen - Stadtkirche in Ludwigslust
Vom Himmel erschlagen - Stadtkirche in Ludwigslust
Radler59/Wikipedia
Vom Himmel erschlagen
Was für ein prachtvoller Raum, die Stadtkirche von Ludwigslust! Und mitten drin der großgewachsene Prediger Albrecht Lotz.
09.02.2022

Stadtkirche Ludwigslust, Sonntag, 10 Uhr Von außen sieht diese Kirche aus wie ein griechischer Tempel. Und wer durch den Säulengang ins Innere tritt, wird vom Himmel erschlagen. Die 350 Quadratmeter Altarraum sind mit einem Geschwader jubelnder Engel ausgemalt, die zwischen sich türmen­den Wolken auf die Ankunft von Jesus Chris­tus warten: O Heiland, reiß die Himmel auf! Nicht nur im Advent, jederzeit erinnert das Deckengemälde an dieses Lied, das baldige Erlösung aus dem Jammertal verheißt.

Privat

Philipp Maußhardt

Philipp Maußhardt schreibt am liebsten über Themen, die er selbst erlebt hat. Das fing schon an als Volontär beim "Schwäbischen Tagblatt" in Tübingen, wo er über die Dörfer der Umgebung zog und nach Menschelndem witterte. Später leitete er das Lokalressort beim Kölner Stadtanzeiger und wurde vom Karnevalverein der Roten Funken zwangsrekrutiert als Oberleutnant. Nach seiner Flucht aus Köln verirrte er sich über verschiedenen Stationen (ZEIT, taz, Münchner Abendzeitung) als Chefreporter zu BUNTE und beteiligte sich elf Monate an der Jagd auf Prominente. Zusammen mit Kollegen der Journalisten-Agentur "Zeitenspiegel" gründete er 2005 die "Reportageschule" in Reutlingen, die er seither leitet. Für chrismon schreibt er immer wieder "Gottesdienstkritiken", eine Rubrik, die er als Chefreporter der Abendzeitung auch in München einführte und dafür neben manchem Lob auch viel Kopfschütteln erntete. Maußhardt ist Juror für zahlreiche deutsche Journalistenpreise und wurde selbst mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet.

Ähnlich fasziniert muss schon der Mecklen­burger Großherzog davor gestanden haben, der die Schlosskirche 1770 erbauen ließ. Wenn die aushängende Liste der hier die­nenden Pastoren richtig zählt, ist Pastor ­Al­brecht Lotz der 67. seit dem ersten Hof­prediger von 1770: ein groß gewachsener Mann mit Übersicht und praktischem Sinn. Beim ersten Lied führt er eine ältere Be­sucherin zu einer beheizten Kirchenbank.

Zu dieser barmherzigen Geste passt gar nicht, was die Lesung für die gut 30 Gottesdienstbesucher an diesem Sonntag bereithält. Jesaja 63, 19: "Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen, sodass die Berge vor dir erzitterten." Nicht nur Berge, auch Völker sollen zittern, schreibt Jesaja und hofft auf Rache und Vergeltung für Israels Leid. "Das stößt uns heute ab", sagt der Pastor, "Gott ist kein Rächer, sondern ein Gott der Vergebung und der Barmherzigkeit."

"Hier hat jemand seine Handschuhe liegen lassen"

Der Predigttext beschreibt das apokalyptische Begleitdrama, wenn dermaleinst der Menschensohn auf einer Wolke daherkommt (Lukas 21,25–33). Geschickt predigt sich Lotz durch das ­Dickicht von christlicher Hoffnung und Furcht vor zerstörerischen Kräften. Gut, dass er der Versuchung widersteht, den ­Klimawandel einzubauen und das Versöhnliche betont: "Seht auf und erhebt eure Häupter." Der Aufforderung kommt man ­gerne nach. Das monumentale Wolken­gebilde hinterm Pastor lässt kein Abschweifen vom Wesentlichen zu. In der Apsiskuppel bündeln sich die Lichtstrahlen zur hebräischen Schrift: "Jahwe", was in etwa heißt: "Ich bin der, der ich bin."

chrismon

Schade, dass der Gottesdienst nach einer knappen Stunde schon vorbei ist. Auf der beheizten Kirchenbank hielte man es länger aus. Auch Pastor Lotz bleibt aufmerksam bis zuletzt: "Hier hat jemand seine Handschuhe liegen lassen", ruft er, als sich die Gemeinde schon zum Ausgang aufmacht. Der Besitzer findet sich schnell. Dem Himmel sei Dank.

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