Privat
Der Pfarrer Gérôme Kostropetsch geht dahin, wo die Leute sind: in Jägers Getränkehandel
Kirchgang - Mit dem Pfarrer am Tresen
Getränkeshop Jäger, Lenzen, Samstag, 18 Uhr: Die Stadt Lenzen hat eine stattliche Kirche, Backsteingotik, dreischiffig. An manchen Sonntagen verlieren sich darin sieben, acht, manchmal 15 Gottesdienstbesucher. "Wenn die Menschen nicht zu mir kommen, gehe ich halt zu ihnen. Jesus ist auch zu denen gegangen, die ihn nicht gerufen haben", sagt Pfarrer Gérôme Kostropetsch, 29, und erfand einen neuen Treffpunkt: samstagabends in Jägers Getränkehandel. Wenn die Lenzener sagen, sie gehen "in die Kirche", meinen sie seitdem Gudrun Jägers Kneipe.
Philipp Maußhardt
Als Pfarrer Kostropetsch kurz nach 18 Uhr den Raum betritt, sitzen ein Dutzend Frauen und Männer an zwei Tischen, alle haben eine Flasche Bier vor sich und begrüßen den Pfarrer durch einen Nebel von Tabakqualm mit einem "N’Abend, Pastor". Die Stimmung ist fröhlich, eine ältere Frau, Edith heißt sie, hat eingemachtes Sauerfleisch mitgebracht und verteilt es.
Sie sind alle beim Du, nur Kostropetsch trägt zusätzlich einen Titel: du, Pastor. Man habe sich anfangs über ihn gewundert, was will der hier. "Aber ich komme ja nicht zum Missionieren her. Ich zeige nur: Mich gibt es. Wenn jemand das Gespräch mit mir sucht, bin ich da." Dass Jürgens Mutter nach einem Schlaganfall im Koma liegt, hat er hier erfahren und fast beiläufig sagt er zu Jürgen: "Wenn du darüber reden willst, ruf mich an." Die "Kirche" ist für den Pfarrer der Kontakthof zur richtigen Kirche.
Gott ist überall
Jemand hat dem Pastor einen Kümmerling ausgegeben. "Dankeschön und Prost", ruft er und lacht. An diesem Abend geht es viel um Alltägliches, manchmal fragen die Lenzener aber auch nach kirchlichen Themen: Warum gibt es zwei Feiertage an Weihnachten, und einer wollte wissen, ob ihn Kostropetsch kirchlich trauen würde, obwohl er und seine Braut nicht Mitglied der Kirche sind. Da habe er Nein gesagt, "aber wenn mich jemand um eine Trauerrede bittet, würde ich es machen, auch wenn der Verstorbene nicht in der Kirche war". Kürzlich hielt Kostropetsch einen Gottesdienst in einem der Nachbardörfer. Eine einzige ältere Frau war gekommen. Sie beteten zusammen, er hielt die Predigt. "Zum Schluss hat sie zu mir gesagt, sie habe völlig vergessen, dass sie ganz alleine hier saß", erzählt der Pfarrer.
Gott ist für ihn überall. In der Kirche und eben auch in Jägers Getränkeshop. Wenn an einem Sonntag in der richtigen Kirche von Lenzen dann ab und zu ein Gottesdienstbesucher mehr erscheint, ist nicht schwer zu erraten, wo Pfarrer Kostropetsch ihn "gefischt" hat.
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