Korbinian Aigner, Der aufsässige Apfelbauer
Korbinian Aigner, Der aufsässige Apfelbauer
Marco Wagner
Der aufsässige Apfelpfarrer
Korbinian Aigner widersetzte sich den Nazis und landete im KZ Dachau. Dort züchtete er heimlich vier neue Apfelsorten.
26.09.2018

Der Anblick seiner Bäume muss in Korbinian Aigner ein Gefühl des Triumphs geweckt haben. Dem katholischen Pfarrer war es gelungen, während seiner Gefangenschaft im KZ Dachau zwischen zwei Baracken vier neue Apfelsorten zu züchten. Heimlich hatte er über die Jahre seiner Gefangenschaft Stecklinge hochgezogen – Gemeindemitglieder hatten ihm Kerne ins Lager geschmuggelt. Vielleicht half ihm ­dieser stille Protest, die Entbehrungen der Haft zu überleben. Nach dem Willen der Nationalsozialisten hätte Aigner im Kräutergarten des KZs eigentlich Gemüse für das deutsche Volk an­bauen sollen. Doch er hatte schon ­immer seinen eigenen Kopf.

Als ältestes von elf Kindern sollte der 1885 in Hohenpolding geborene Aigner den elterlichen Hof übernehmen. Doch er wollte lieber Pfarrer werden. Nach seiner Priesterweihe im Jahr 1911 dauerte es allerdings 20 Jahre, bis er seine erste Pfarrstelle in Sittenbach antreten durfte. Vielleicht, weil er seine Erfüllung nicht nur in der Theologie suchte, sondern auch in der Apfelzucht. Sein Interesse zeigt sich in seinen Apfelbildern: Rund 650 postkartengroße Aquarelle von Äpfeln und fast 300 Bilder von Birnen malte Aigner während seines Lebens, so entstand eines der größten pomologischen Bildarchive überhaupt.

Das Münchener Ordinariat urteilte: "Mehr Pomologe als Theologe"

"Mehr Pomologe als Theologe", urteilte auch das erzbischöfliche ­Ordinariat von München-Freising über diese ungewöhnliche Leidenschaft für den Obstbau. Mit dem Zölibat tat sich Aigner schwer. "Schielt zu sehr nach dem Weiblichen", ist in einem Vermerk zu lesen. "Sittliches Betragen nicht ­tadelsfrei", beschwerte sich ein Kollege beim Erzbischof. Aigner kann nicht sonderlich erstaunt gewesen sein, als ihn die Nazis am 22. November 1939 abholten und ins Gefängnis des Freisinger Amtsgerichts brachten. Einige Tage zuvor hatte er im Religionsunterricht Georg Elsers gescheitertes Attentat auf Adolf Hitler so kommentiert: "Ich weiß nicht, ob es Sünde ist, was der Attentäter im Sinne hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden."

Es war nicht das erste Mal, dass sich der Pfarrer mit dem NS-Regime anlegte: 1936 weigerte er sich, zum "Friedensappell des Führers" die Glocken zu läuten. Beim Neujahrsgottesdienst im selben Jahr wollte er keine Hakenkreuzfahnen segnen. Der SA unterstellte er, "dass keine Gescheiten dabei sind". Er wolle im Dritten Reich "kein stummer Hund" bleiben, sagte er einmal. Einige Zeit kam er glimpflich davon.

"...weil vermutet wurde, dass ich in Zukunft wieder meckern würde"

Strafversetzungen und Geldbußen wirkten nicht. Eine Aushilfslehrerin und der Kreisbauernführer denunzierten ihn bei der NSDAP. Aigner nannte als Grund für seine Verhaftung, "weil vermutet wurde, dass ich in Zukunft wieder meckern würde". Die Nazis brachten ihn erst ins KZ Sachsenhausen und 1941 nach Dachau. Über den dem Kräutergarten angegliederten Laden ließ er sich unter dem Vorwand der Sortenbestimmung Äpfel ins Lager schmuggeln, zog aus den Kernen heimlich Pflanzen. Schließlich hatte er vier neue Sorten gezüchtet, die er lakonisch KZ-1 bis 4 taufte. Die genauen Umstände der Züchtung sind nicht überliefert. Fest steht, dass er über 100 Sämlinge aus dem Lager heraus schleusen konnte.

Gegen Kriegsende schickte die SS die KZ-Insassen auf einen Todesmarsch nach Südtirol. Aigner gelang am 28. April 1945 die Flucht. Im ­Klos­ter Aufkirchen versteckte er sich, danach kehrte er in seine letzte Pfarrei nach Hohenbercha zurück, nahm den Pfarrdienst wieder auf und wurde Vorsitzender des Bayerischen Landesverbandes für Obst- und Gartenbau. 1966 starb er an einer Lungenentzündung. Beerdigt wurde er im Mantel seiner KZ-Häftlingskleidung, den er noch Jahre getragen hatte. Die Sorte KZ-3 wird noch heute angebaut, seit 1985 unter dem Namen "Korbiniansapfel".

Infobox

Äpfel und Birnen und anderes Gemüse

Die Obstbilder von Korbinian Aigner im Dialog mit der Sammlung Würth

Das Museum Würth in Künzelsau zeigt die berühmten Obst-Bilder von Korbinian Aigner in Kooperation mit der TU München in der Ausstellung "Äpfel, Birnen und anderes Gemüse" noch bis 6. Januar 2019.

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