Lena Uphoff
15.11.2010

Achtung! Wichtige Information! Lesen Sie diese Zeilen bitte sorgfältig, bevor Sie in den eigentlichen Text dieser Kolumne einsteigen. Wenn Sie überempfindlich gegen Polemik und Ironie sind, wenn Sie unter ungeklärten Meinungsbildstörungen, unter Risikophobie, Sicherheitsmanie oder Freiheitsangst, verbunden mit schweren Zornausbrüchen und Ärgeranfällen, leiden, sollten Sie diese Seite aus dem Heft trennen und ungelesen Ihrer Altpapiertonne zuführen.

Dann sind wir jetzt also unter uns. Wir sind gar nicht überrascht gewesen, als Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, eine Studie für das Harding-Zentrum für Risikokompetenz vorlegte, in der er und seine Kollegen nachwiesen, dass vor allem die Deutschen die segensreiche Wirkung der Krebsfrüherkennung weit überschätzten. Besonders weit daneben lagen die Urteile der durch Ärzte und Medien beratenen und informierten Frauen und Männer.

Von tausend Frauen, die zur Mammografie gehen, sterben innerhalb von zehn Jahren vier an Brustkrebs, von tausend, die sich nicht testen lassen, fünf. 98 Prozent der deutschen Frauen glauben aber, dass die Früherkennung mindestens zehn Krebstote auf tausend Tests verhindere, ein Drittel vermutete gar bis zu zweihundert Todesfälle weniger im Vergleich.

Die Vorsorge propagierende Politik sowie die Gesundheitsbranche werden über die Studie wenig erfreut gewesen sein. Wir hingegen haben uns vor allem über einen Satz des Psychologieprofessors Gigerenzer bei der Präsentation seiner Arbeit gefreut: "Wir sollten beginnen, ein entspannteres Verhältnis im Umgang mit Unsicherheiten zu entwickeln."

Wann die Sorge zur Manie wird bestimmen wir

"The German Angst" ist in den angelsächsischen Ländern ein geflügeltes Wort. Umgekehrt gilt: Die Deutschen sind offenbar bereit, sehr viel zu investieren, um Risiken aller Art zu minimieren und für ein Mehr an Sicherheit und Gesundheit zu sorgen. Und sie glauben, dass sie dabei erfolgreich sein werden. Der schwäbische Weise Manfred Rommel hat einmal festgestellt, wenn unsere Lebenserwartung in den Jahrzehnten seit Kriegsende so kräftig gestiegen sei, habe dies den großen Vorteil, dass wir länger über Krankheiten jammern könnten.

Angesichts des weltweit riesigen Medienaufruhrs wegen eines alles in allem mäßig bedeutsamen Schweinegrippeerregers und der damit verbundenen gigantischen Umsatzvisionen der Impfstoffproduzenten kann man sich allerdings fragen, ob es sich beim Fetisch Gesundheit um ein deutsches oder nicht doch um ein urmenschliches Phänomen handelt. Fremde Erreger, eine Seuche von Übersee greifen das für viele Menschen Heiligste an: ihre Gesundheit. Weil es sich um eine bisher unbekannte Gefahrenquelle handelt, fühlen sich viele Leute wehr- und machtlos. Bis die Regenmacher aus der Pharmabranche das Wundermittel, den neuen Impfstoff, präsentieren.

Pandemien, Epidemien, Seuchen, unheilbare Krankheiten sind schon deshalb für unser kollektives Bewusstsein erschütternd, weil sie uns mit der unabänderlichen Tatsache unserer Sterblichkeit konfrontieren. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Die Überwindung der Sterblichkeit, sagen kluge Theologen und Philosophen, sei überhaupt der zentrale Antrieb für den menschlichen Erfinder- und Forschergeist. Für den irdischen Abglanz der Unsterblichkeit, ihre Gesundheit, sind die Menschen seit Urzeiten bereit, unglaublichen Aufwand zu produzieren: Zaubermittel, Zaubersprüche, Wallfahrten, Investitionen in Wissenschaft und Forschung, Vorsorge, Früherkennung. Das ist - auch unter uns alles in Ordnung. Nur: Wann der Aufwand zum Wahn, wann die Sorge zur Manie, wann die Angst vor der Unsicherheit zur Freiheitsberaubung entartet, das bestimmen wir auch. Falls Sie diesen Text trotz Zugehörigkeit zu einer der anfangs genannten Risikogruppen mit wachsendem Ärger gelesen haben, entspannen Sie sich. Auch der Autor hat treuen Glaubens zahlreiche Vorsorgeuntersuchungen absolviert.

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