Lena Uphoff
15.11.2010

Neulich hatten wir unsere alte Freundin Petra zu Gast. Wir saßen und klönten bis in die Puppen. War bitter nötig, denn wir hatten uns viel zu lange nicht gesehen. Petra arbeitet in der Tourismusbranche. Was sie eigentlich genau machte bei dem großen Reiseunternehmen, wussten wir bis zu diesem Abend nicht. "Ich bin Quartiermacherin", erklärte sie. Sie fliegt an die schönsten Plätze der Welt und schaut sich an, ob neue Vertragshotels den Standards genügen. Sind die Betten in Ordnung? Haben die Bäder genügend Platz, um sich darin umzudrehen? "Und für Deutsche wichtig: Ist alles sauber genug?"

Würde unser Gästebett im Arbeitszimmer ihren Ansprüchen genügen?

Während Petra erzählte, wurde mir ein wenig mulmig. Würde unser Gästebett im Arbeitszimmer ihren Ansprüchen genügen? Das Bad hatten wir ­ gemessen an meinen Standards ­ auf Hochglanz geputzt. Aber waren meine Maßstäbe auch die ihren? Vor zwanzig Jahren hätte ich bedenkenlos ja gesagt. Petra hauste damals mit ihrem Bruder in einer Studenten-WG, in der ich bisweilen nach überlangen Skatrunden auch eine Matratze fand. Nicht dass die Wohnung schmuddelig gewesen wäre ­ der einzige Schimmel war ein Lipizzaner auf einem Poster im Flur ­, aber sie war unaufgeräumt genug, um gemütlich zu sein.

"Was hast du denn? Du guckst so komisch?", unterbrach Petra ihren Vortrag. Ich packte meine Besorgnis aus. Petra bekam einen Lachanfall in der Größenordnung eines mittleren Vulkanausbruchs. Als sie sich wieder eingekriegt hatte, schnaubte sie mit gespieltem Entsetzen: "So denkst du also von mir! Das ist doch nur mein Job. Deswegen bin ich doch nicht völlig verspießt. Außerdem hat dich deine Frau in Sachen Ordnung um Lichtjahre weitergebracht. Das habe ich beim ersten Schritt in dieses Haus festgestellt." Also alles bestens! Themawechsel. Und noch ein Absacker.

"Kennst du Feng-Shui?"

Als wir uns am nächsten Morgen zum Frühstück trafen, bekundete Petra, sie habe so köstlich geschlafen wie schon lange nicht mehr. Es sei schön bei uns, wie in alten Zeiten. Doch dann senkte sie die Stimme. "Gestatte, dass ich ehrlich bin: Um dich, mein Lieber, mache ich mir Sorgen. Du wirkst unglaublich gestresst und erschöpft." Wirklich? Na ja, ich bin halt urlaubsreif. "Glaube ich dir. Aber das ist es nicht allein. 'tschuldige bitte, dass ich das so sage. Ich bin heute Morgen auf der Suche nach dem Bad in deiner kleinen Werkstatt gelandet." Oh nein! Sie meinte meine Rumpelkammer. "Kennst du Feng-Shui?" Hatte ich schon mal gehört. Eine chinesische Lehre von der harmonischen Art, sich einzurichten. "Das trifft es so ungefähr", dozierte Petra, "nach Feng-Shui jedenfalls ist dein Kellerraum eine Katastrophe. Das ganze Gerümpel, das du da versammelt hast, blockiert deinen Energiefluss, es belastet dich. Wenn du diesen Kellerraum aufräumst und mindestens die Hälfte von dem, was du da rumliegen hast, wegwirfst, garantiere ich dir: Du wirst dich wie neugeboren fühlen."

Also doch! Von wegen "nur mein Job"! Petra wehrte ab: "Mir geht es um etwas anderes. Dein Keller ist die dunkle Zone deines Unterbewusstseins." Meine Frau kam mit ihrem Tee aus der Küche: "Gut, dass du es ihm sagst. In dieser Werkstatt findet man nichts. Und weil er nichts findet, kauft er ständig neue Schraubenzieher, Hämmer und diese komischen Dinger für seinen Akkuschrauber." Bits! Sie meinte Bits! "Und deshalb wird das Chaos immer größer." Zwanzig Minuten Tribunal (aus meiner Sicht) oder Seelsorge (nach Petras und meiner Frau Auffassung). Auch ich bin ein Freund einer asiatischen Lehre, ich liebe Judo. Tief durchatmen und kontern! "Du hast recht!", hob ich an, "dieser Keller ist die dunkle Zone meines Unterbewusstseins. Genauer: Die brodelnde Ursuppe meiner Kreativität. Würde ich sie auf- und ausräumen, brächte ich mich um die Wurzeln meiner Fantasie. Vielleicht würde ich leichter leben. Die Energie flösse besser. Aber welche Energie? Es ist wie mit einem gemauerten Bachbett, in dem kein Wasser mehr fließt. Denn das Wasser des Lebens, meine Energie, steigt auf aus der dunklen Zone..." ­ "Es ist gut", unterbrach meine Frau, "so macht er das immer. Bevor er nachgibt, erfindet er eine hirnrissige Theorie. Machen wir es kurz: Bevor wir in Urlaub fahren, räumst du die Werkstatt auf, okay?" Okay, dann bin ich aber wirklich urlaubsreif und bar aller Energiereserven.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.