Lena Uphoff
15.11.2010

Ich komme vom Bodensee. Da wächst Wein und man braut ein gutes Bier. Es gibt einige Evangelische und viele Katholische dort. In unserer Stadt wurden die Feste gefeiert, wie sie fielen: Taufen, Hochzeiten, Erstkommunion und Konfirmation, runde Geburtstage und Beerdigungen. Ja, auch Beerdigungen wurden gefeiert. Nicht nur, dass man die Trauer feierte ­ darum heißt es ja schließlich Trauerfeier. Beim Leichenschmaus trafen sich alle, erzählten von den Verstorbenen, berichteten, was sich in ihren Leben seit der letzten Feier ereignet hatte, freuten sich am Wiedersehen oder lernten einander überhaupt erst kennen. Mindestens zwei Ehen, das weiß ich, ergaben sich aus Bekanntschaften am Grabe.

Die Alten saßen bei den Alten und schlürften Riesling

Aber gleichgültig, aus welchem Grund man zusammengekommen war, immer gab es Wein (Kaffee, Tee, Säfte, Wasser und Bier natürlich auch). Die Alten saßen bei den Alten und schlürften einen Riesling oder einen Spätburgunder und sprachen über gestern und vorgestern. Die Jungen tauschten sich aus über Freud und Leid mit Nachwuchs und Beruf, bestellten noch ein Viertele oder ­ später dann ­ ein Achtele. Tante Margret, sonst ein Muster an Disziplin, flirtete mit einem Großneffen und war nach dem einen Gläschen mehr als sonst einfach bezaubernd. Onkel Kurt, der größte Witzeerzähler weit und breit, wurde von Tante Milli leise eingebremst, wenn seine Hervorbringungen in untere Gefilde abzugleiten drohten.

Die Halbwüchsigen forderten einander heraus und erprobten ihren Mut im Umgang mit Weißweinschorle, in der der Wassergehalt von Glas zu Glas schwerer festzustellen war. Soziologisch betrachtet trainierten sie den Umgang mit der Ritualdroge Alkohol. Und wie bei jeder Annäherung an etwas Neues gab es dabei auch mal ein Zuviel, das die Definition des Missbrauchs der Droge erfüllte. Nach Mitternacht ging es zunächst hoch her. Dann lichteten sich die Reihen. Und gegen drei war meist noch ein Tisch übrig, an dem sich generationenübergreifend jene sammelten, die in allerlei Unterhaltungen verstrickt waren, darunter ebenso geistreiche und tiefe wie fröhliche oder gar banale. Der Wein hatte ihre Zungen gelöst. Ihre Augen glitzerten, bis die Müdigkeit sie schmal werden ließ. Irgendwann gingen auch die Letzten zu Bett. Wie das geschah ­ das war der Stoff für Legenden, die dann beim nächsten Fest für Gesprächsstoff sorgten.

Natürlich geht das alles auch ohne Alkohol

Natürlich geht das alles auch ohne Alkohol. Vielleicht sogar besser. Man ist dann bei sich und bleibt es. Man hat sich einfach unter Kontrolle. Es unterbleiben Peinlichkeiten, wie etwa die der Vierundachtzigjährigen, die einem 50 Jahre jüngeren Mann zur Mitternacht zuraunte: "Wenn ich nur vierzig Jahre jünger wäre, mit dir würde ich durchbrennen." Wiewohl den jüngeren Mann dieses Bekenntnis sehr schmeichelte, was er beim Auskleiden auch seiner Frau, dem Patenkind der Verursacherin, erzählte. Und die, schrecklich genug, teilte seine Freude auch noch.

Krach gab es auch, frei nach der Devise "Was ich dir schon lange mal sagen wollte". Einmal endete das fröhliche Beisammensein deshalb mit dem dramatischen Auszug eines beleidigten Paares ("Franz, wir reisen sofort ab. Mit diesen Leuten bleibe ich keine Minute mehr zusammen!"). Zwei, drei ähnlich gelagerte Abreisen kamen auf dem Parkplatz vor dem Gasthaus zum Halten, weil begabte Friedensstifter die Kombattanten vom Einsteigen ins Auto abhielten, beruhigten oder gar versöhnten ("Ihr habt zu viel getrunken. Ich lasse euch jetzt nicht in euer Unglück fahren!").

Onkel Gerd und seine Hans-Moser- Einlage vergesse ich nie

In einem Fall führte eine solche Versöhnung zur fröhlichen Verlängerung des Festes um mehrere Stunden, weil Tante Vroni und ihre Schwester Bärbel tränenüberströmt unter Anfeuerung durch die Restgesellschaft unausgesetzt beteuerten, wie sehr sie einander doch liebten. Und jetzt, da der lange gehegte Zwist endlich herausgekommen und beendet sei, beginne ein wunderbares neues Leben.

Übrigens: Jene, die einander überhaupt nicht mochten, schafften es auch bei kleinen Feiern und mit Wein, sich aus dem Weg zu gehen und voneinander höchst sparsam Notiz zu nehmen. Aber an die erinnere ich mich kaum. Im Gegensatz zu Onkel Gerd und seine Hans-Moser-Einlage "Es wird a Wein sein und mir wern nimmer sein". Die werde ich nie vergessen.

 

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