Arnd Brummer über Ordnung
Lena Uphoff
15.11.2010

"Du läufst wieder leer!" So rügte mich mein Freund Wolfgang einst, wenn ich in unserer gemeinsamen Wohnung vom Esszimmer in die Küche ging, um etwas aus dem Kühlschrank zu holen, ohne die nicht mehr benötigten Teller mit rauszutragen und wenn möglich gleich abzuspülen. Tschuldigung, sagte ich zerknrischt, war gerade in Gedanken! Im Stillen gelobte ich Besserung. Aber zwei Tage später begleitete mich Wolfgangs "Du läufst wieder leer" auf dem Weg in den Keller, weil ich die Schmutzwäsche nicht mit runtergenommen hatte. Wolfgang, Volkswirt und Banker von Beruf, war bestens organisiert. Und er, der Schwabe, wusste, warum: Aus reiner Energie- und Zeit-Ersparnis wollte er sich jeden überflüssigen Weg ersparen.

"Du bist eh dauernd unterwegs, warum hast du eine 3-Zimmer-Wohnung?"

Angewandte Ökonomie war es auch, die ihn veranlasst hatte, mich zur Aufgabe meiner Wohnung zu bewegen: "Du bist eh dauernd unterwegs, warum hast du eine 3-Zimmer-Wohnung?" Weil es bei meinem beruflich bedingten Umzug schnell gehen musste und gerade keine andere zu mieten war. "Das kannst du ja jetzt korrigieren. Ich habe in meiner Wohnung ein Zimmer frei, nachdem Manfred mit seiner Freundin zusammengezogen ist. Du ziehst ein und sparst zwei Drittel deiner Mietausgaben." Eineinhalb Jahre hielt die Zweckgemeinschaft. Materiell bin ich gut gefahren. Nur meine Seele nahm ein wenig Schaden.

Inzwischen sind mehr als zwei Jahrzehnte ins Land gegangen. Ich bin noch weit davon entfernt, ordentlich zu sein. Immerhin kann ich aber von mir behaupten, das Wesentliche, das Berufliche, einigermaßen auf der Reihe zu haben, was aber nicht unbeträchtlich an der Mitwirkung liebenswürdiger Kolleginnen liegt. Nichtsdestoweniger klafft ein tiefer Abgrund zwischen dem, was man ein wohl organisiertes Dasein nennt, und meinem konkreten Leben. Wie viele Schirme habe ich schon unterwegs gekauft, weil ich den meinen vergessen habe? Wie viele Stadtpläne? Wie viele Packungen mit Tennisbällen teuer auf der Clubanlage und nicht preiswert im Supermarkt?

Ich war ein Turnbeutel-Vergesser

Neulich fragte mich eine Bekannte: Warst du schon als Kind so? Jawohl! Ich war ein Turnbeutel-Vergesser, ein Matheheft-Liegenlasser, ein Radiergummi-Verlierer, ein Dreimal-in-den-Keller-Geher!

Mein achtjähriger Sohn trägt leider alle Zeichen dieses schweren Erbes. Mit Lehrerinnen und Mutter bin ich mir darin völlig einig: Es ist ein Dienst an ihm, es ist vernünftig und vorausschauend, ihn zur Ordnung zu erziehen. Dazu muss er die Folgen seiner Unordnung spüren, muss reinrasseln. Wenn ich ihm alles hinterhertrage, ihm hinterherräume, dann schade ich ihm! Und "leer laufen", vom Wohnzimmer in die erste Etage, muss er sich zusammen mit mir endlich abgewöhnen.

Ich gebe zu, dass mir diese Strenge verdammmt schwer fällt. Ich empfinde meine dick aufgetragene Konsequenz als unmenschlich. Ich möchte nicht, dass er unter mir leidet wie ich unter den nörgelnden Vätern, Onkeln und Lehrern gelitten habe, die meine Vergesslichkeit zum Anfang des Asozialen, des Untermenschentums stilisierten. Natürlich habe ich ihm neulich das Matheheft zur Schule nachgefahren. Und seine Kakaotasse vorher in die Küche getragen. Und seinen Schlafanzug aus dem Badezimmer genommen, zusammengefaltet und aufs Bett gelegt.

Vor allem aber habe ich ihm die Meldung aus der Zeitung vorgelesen vom Volleyball-Spitzenspieler N., der sich vor Abfahrt zum entscheidenden Auswärtsspiel aus seiner Wohnung gesperrt hatte, in der Sportkoffer, Autoschlüssel und Fahrkarte zurückblieben. Deshalb fehlte er, sein Team verlor und steht nun vor dem Abstieg aus der Liga. "Oh, der arme Kerl", sagte mein Sohn, "der wird ganz schön Ärger mit Trainer, Mannschaft und Fans bekommen haben. Das kenne ich!"

Ich seufzte nur: "Ich auch, mein Lieber!"

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